Jedes Zehntelgrad zählt.

Bild: Filip Gielda - Visit Greenland
Bild: Filip Gielda - Visit Greenland

Regen am höchsten Punkt Grönlands. So what? Mögen Sie sagen. Eine Randerscheinung im Vergleich zu den Schlagzeilen, die das Wetter heuer produziert hat. Was soll mich das bisschen Regen in Grönland interessieren? Nun ja, seit das Wetter auf dem Top of Greenland oben aufgezeichnet wird, hat es dort bislang noch nie geregnet. Wenn auf dem Eisschild hoch oben etwas vom Himmel fällt, ist es für gewöhnlich Schnee. Seit 2000 sind die Temperaturen jedoch schon drei Mal über den Gefrierpunkt geklettert. Eben auch am 14. August 2021, als es zu regnen begann.

Während sich die Nationen auf ihre nächste Klimakonferenz im November in Glasgow vorbereiten, täten sie gut daran, auch den Grönländischen Regen im Kopf zu behalten – und sich angesichts der fortschreitenden globalen Erwärmung nicht dazu verleiten lassen, das angestrebte Ziel von maximal 1,5 Grad plus auf zwei Grad zu erhöhen. Denn: Es kommt auf jedes Zehntelgrad an.

 

Allerdings sind die CO2-Level in der Atmosphäre so hoch wie nie, und viele Experten sind der Ansicht, dass das 1,5 Grad-Ziel bereits illusorisch ist. Die Anzeichen, die für diese Begrenzung der globalen Erwärmung sprechen würden, sind nicht eben vielversprechend. Ganz abgesehen davon, dass sich die Nationen auf irgendwelche Ziele einigen können – es ist eher unwahrscheinlich, dass sich die Atmosphäre an menschliche Ziele, Begrenzungen und Beschlüsse halten wird. 

 

Was ist schon ein halbes Grad mehr oder weniger, mag man sich fragen. Tja, es ist nicht nichts. Schon vor drei Jahren haben Wissenschaftlerinnen in einem Report der Weltorganisation für Meteorologie der Uno die Unterschiede akribisch festgehalten. Der «1,5oC-Report» stellt zum Beispiel fest:

 

  • Bei einer Erwärmung von 1,5 Grad müssten 14 Prozent der Menschheit etwa alle fünf Jahre mit extremen Hitzewellen rechnen. Die extremen Tage werden im Schnitt drei Grad wärmer ausfallen. Bei 2 Grad wären es schon 37 Prozent und vier Grad.
  • Die Meeresspiegel werden um rund zehn Zentimeter höher steigen bei zwei Grad Erwärmung. 
  • Bei 1,5 Grad werden 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe verschwinden. Bei 2 Grad wären es 99 Prozent.
  • Bei 1,5 Grad wird die Hochseefischerei mit 1,5 Millionen Tonnen weniger Fischen auskommen müssen. Bei 2 Grad sind es doppelt so viele.
  • Mit jedem Zehntelgrad, um das die Temperatur steigt, steigt auch die Zahl der Menschen, die noch tiefer in die Armut abgleiten. Menschen, die ihr tägliches Brot dem Land oder dem Meer abringen. Ein Temperaturanstieg von 0,5 Grad über das angepeilte Limit bedeutet Hunderte Millionen Menschen mehr, die unter Armut und Hunger leiden.
  • Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber werden sich wesentlich stärker ausbreiten. Dazu kommen massiv steigende Todesfälle, die schlicht und einfach durch Hitze bedingt sind.
  • Steigt die Temperatur auf zwei Grad, nehmen Ernten von Mais, Reis, Weizen und anderen Getreidesorten stark ab. Das gilt vor allem für Regionen südlich der Sahara, Südostasien wie auch für Zentral- und Südamerika.

Die Biodiversität wird noch stärker verarmen, die Eisschilder noch schneller abschmelzen. Das alles ist kein neues Wissen. Dennoch bleibt es erschreckend. Aber offenbar nicht erschreckend genug, um Regierungen, Wirtschaft und Individuen zu sofortigem Handeln zu bewegen. Zwar sind die CO2-Emissionen im letzten Jahr pandemiebedingt leicht zurückgegangen. Entwarnung bedeutet das nicht. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die Treibhausgasemissionen 2023 ein neues Allzeithoch erreichen werden. Sie hat auch ausgerechnet, dass im zweiten Quartal 2021 gerade einmal zwei Prozent aller von der Regierung zur Verfügung gestellten Pandemie-Gelder in saubere Energieprojekte geflossen sind. 

 

Das ist wohl ganz einfach too little, too late.

Christa Dettwiler