EU zündet Silvesterkracher

Foto: via Depositphotos
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Bevor es kracht: Ein gutes neues Jahr! Und jetzt geht’s los. Er kommt einer klimaschutzmässigen Bankrotterklärung gleich: Der Vorschlag der EU-Kommission Atomkraft und Gas als klimafreundlich einzustufen und damit für Investoren attraktiv zu machen. Die Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion der EU-Kommission zündete ihren Böller am Silvesterabend. Es geht nicht nur um Milliarden, sondern auch um den Weg zur Klimaneutralität.

Dass das Dokument um zwei Stunden vor Mitternacht an die Mitgliedstaaten verschickt wurde, ist kein Zufall. Der Aufschrei sollte wohl im Krachen der Feuerwerke ungehört verhallen. Hat nicht ganz funktioniert. Der grüne Teil der neuen deutschen Regierung hat bereits unmissverständlich klargemacht: Mit uns nicht. Auch Österreich hat reagiert. Das Land will klagen, sollte der Vorschlag durchgehen. Die Opposition wird einen schweren Stand haben, denn es bräuchte mindestens 20 EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten oder im EU-Parlament mindestens 353 Abgeordnete, um das Ding zu kippen.

 

Die Mitgliedstaaten haben bis 12. Januar Zeit, sich zu äussern. Bislang stellen sich erst fünf Länder klar gegen dieses Greenwashing von Atom und Gas. 

 

Eine Bankrotterklärung ist dieser Winkelzug deshalb, weil er eindeutig klimaschädigende Technologien hurtig umdeutet und Milliarden-Investitionen, die in echten Klimaschutz flössen, umleitet. Dabei wäre entschiedenes, zielgerichtetes Handeln so dringlich wie noch nie.

 

Das vergangene Jahr hat die Auswirkungen des Klimawandels vor unsere Haustüren gebracht. Wetterextreme, Schäden durch Naturkatastrophen in Milliardenhöhe nicht nur in entfernten Ländern. Überall auf dem Planeten sind die Folgen der Klimaerwärmung spür- und sichtbar. Dennoch fährt der Klimaschutz Niederlage um Niederlage ein.

 

Der «Build Back Better act» von US-Präsident Joe Biden wird voraussichtlich im Kongress scheitern und damit die ambitionierten Klimaziele des Weissen Hauses zu Makulatur machen. Was wiederum ein fatales Signal an den Rest der Welt senden würde. Vor allem China dürfte sich ins Fäustchen lachen. Aus dem mutigen Vorangehen der reichen Nationen wird wohl nix, denn die Aufforderung an alle Länder, ihre nationalen Klimapläne zu überarbeiten und zu stärken – so beschlossen am Klimagipfel in Glasgow – wird von etlichen industrialisierten Ländern schlicht ignoriert. So ist etwa der neuseeländische Klimaminister James Shaw der Ansicht, diese Aufforderung gelte nur für Hauptemittenten wie Indien, China, Russland und Brasilien.

 

Obwohl durchaus auch Fortschritte zu verzeichnen sind, hat sich eines nicht geändert: Der eigene Vorteil und das endlose Weiterwachsen der Wirtschaft bestimmen die Entscheidungen. Es überrascht also nicht, dass der Anteil des CO2 in der Atmosphäre stetig weiter steigt. So wurden im November beim Observatorium auf dem Vulkan Mauna Loa in Hawaii 415 Teilchen pro Million gemessen, zwei mehr als vor einem Jahr. 

 

Niklaus Höhne, Leiter des Thinktanks New Climate Institut, will trotz allem die Hoffnung nicht aufgeben. Zu den Netto-Null-Zielen von immer mehr Ländern sagt er: «Das war noch im Jahr 2020 eine Wunschvorstellung.» Dann folgt das grosse Aber: «Die Klimaneutralitätsziele werden auch vermehrt genutzt, um Klimaschutz nur vorzutäuschen.» Greenwashing gebe es immer häufiger, in Ländern wie Saudi-Arabien, Russland oder bei Ölriesen wie Shell.

 

Und seit Silvester muss man ergänzen: Auch in der EU.

 

Christ Dettwiler