Würde, wäre, wenn ...

Foto: Giovanni Arechavaleta I Unsplash
Foto: Giovanni Arechavaleta I Unsplash

Haben wir das möglicherweise schon einmal festgestellt? Die Welt ist voller Widersprüche. Während die Gletscher gerade unwiederbringlich dahinschmelzen, fliegt man Schnee per Heli ein und baggert jeden Kubikzentimeter des weissen Goldes herbei, um Pisten in grüne Landschaften zu zimmern. Während der CO2-Ausstoss trotz aller Massnahmen weiter steigt, zieht Deutschland in den Kampf gegen die Menschen von Lützerath, die den Weiler vor dem Kohleabbau schützen wollen.

Das war’s dann wohl für die Gletscher. Das Fachmagazin «Science» veröffentlichte eine Studie, die aufzeigt, dass sich rund die Hälfte der untersuchten 215’000 Gletscher weltweit bis ins Jahr 2100 verflüssigt haben werden, selbst wenn der Temperaturanstieg die fiktive 1,5 Grad Grenze nicht überschreiten sollte. Nur zur Erinnerung: Die Schweiz liegt zurzeit bei 2,4 Grad. So konstatiert der deutsche Glaziologe Olaf Eisen vom Alfed-Wegener-Institut in Nachrichtenmagazin Spiegel kurz und bündig: «Das Thema ist durch». Blieben die Temperaturen in den kommenden Wintern so wie in den letzten zwei Jahren, würden die deutschen Gletscher das Jahr 2050 nicht mehr sehen. Dasselbe gilt auch für die Schweiz.

 

Das Wasser, das im vermeintlich ewigen Eis gespeichert ist, muss ja irgendwo hin. Anstatt im Sommer zur Verfügung zu stehen, wenn es lokal gebraucht wird, fliesst es Richtung Meer und lässt den Meeresspiegel steigen. Was das heisst, weiss der Co-Autor der Studie, Fabien Maussion von der Universität Innsbruck: «Jeder Millimeter mehr Meeresspiegelanstieg führt zu mehr Überschwemmungen an den Küstengebieten, und die Gletscher sind eben einer der Hauptantriebe des Meeresspiegelanstiegs.»

 

Um diese Entwicklung – stoppen lässt sie sich nicht mehr – zu verlangsamen, hilft nur eines: Emissionen von Treibhausgasen reduzieren. Massiv und sofort. Aus dieser Perspektive mutet der Kampf um Lützerath im deutschen Nordrhein-Westfalen mehr als absurd an. Der Energiekonzern RNW will dort noch die letzte Braunkohle im Tagebau aus der Erde reissen. Klimaaktivistinnen, lokale Einwohner, Menschen aus der Gegend haben sich dort versammelt, um genau das zu verhindern. Jetzt rücken sogenannte Einsatzkräfte aus ganz Deutschland ein, um sie wegzuräumen.

 

Dieses Vorgehen folgt einem Trend. In Deutschland stieg die Stromproduktion aus Braunkohlekraftwerken im letzten Jahr um sieben Prozent gegenüber 2021, Steinkohle trug plus 20 Prozent bei. Das hat einen einfachen Grund: Geld. Wegen des Kriegs in der Ukraine explodierten die Energiepreise. Erdgas-, Kohle- und Erdölpreise stiegen 2022 in Europa auf Rekordniveau: Gegenüber dem Vorjahr kostete Erdgas an den Energiebörsen im Schnitt 167 Prozent mehr, Steinkohle 157 Prozent und Mineralöl 54 Prozent.

 

Während sich etliche Energiekonzerne an diesen Preisen gesundstossen, und Regierungen die Tore dafür aufstossen, um Bevölkerung, Gewerbe und Industrie mit ausreichend Energie zu versorgen, geraten die Klimaziele mehr und mehr ausser Sicht. Gleichzeitig wird es immer teurer, das Netto-Null-Ziel in Europa bis 2050 zu erreichen. Wie viel das etwa kosten würde, hat die ETH Zürich untersucht.

 

In den nächsten fünf Jahren müssten in der Schweiz und der EU 41 Prozent mehr investiert werden als bislang. Das wären 302 Milliarden Euro pro Jahr, plus 87 Milliarden jährlich. Primär müsste bei erneuerbaren Kraftwerken, Stromnetzen und bei der Eisenbahninfrastruktur investiert werden. Möglich sei es, kommen die Autorinnen zum Schluss. Sofern die Milliarden, die nach wie vor in fossile Energieträger fliessen, zu sauberen Technologien umgeleitet würden.

 

Aber eben: würde, wäre, wenn ... 

Christa Dettwiler