Agieren statt proklamieren

Photo: Scott Web auf Unsplash
Photo: Scott Web auf Unsplash

Wie wenn es noch einen weiteren Beweis gebraucht hätte ... Unser gängiges Wirtschaftssystem ist zum endlosen Wachstum verdammt. Nachdem ein winziges Virus die Weltwirtschaft in Quarantäne geschickt hat, explodieren die Verluste. Millionen Menschen haben bereits ihren Arbeitsplatz verloren. Viele Unternehmen werden pleitegehen, andere werden nur durch massive Geldtransfusionen am Leben erhalten.

Die Schweiz hat zurzeit um die 62 Milliarden Franken für solche Transfusionen eingeplant. Und wie soll dieses Geld je zurückgezahlt werden? Durch Wachstum natürlich. 
Dass ungebremstes Wirtschaftswachstum mit dem Schutz von Ressourcen, der Natur und des Klimas nicht vereinbar sind, schleckt keine Geiss weg. Da helfen weder ein «Green New Deal» noch hehre Klimaziele. Zumal gerade diese im Sog der Pandemie unterzugehen drohen. 
Beispiel Swiss:
Der Bundesrat beschliesst letzte Woche, der Fluggesellschaft Swiss mit rund 1,3 Milliarden Franken unter die Arme zu greifen. Einem Unternehmen notabene, das sich in deutscher Hand befindet, und einer Branche, die zu mehr als zehn Prozent zum nationalen Treibhausgasausstoss beiträgt. Die überaus grosszügige Geldtransfusion knüpft der Bundesrat an keinerlei klimapolitischen Bedingungen und bestätigt damit eine alte Regel, wie der Energiejournalist Hanspeter Guggenbühl in der online-Zeitung Infosperber schreibt: «In der Umwelt- und Klimapolitik wird grossmäulig proklamiert, in der Wirtschaftspolitik hingegen sofort – und oft diametral entgegengesetzt – reagiert und finanziert.»
Nun hat es das Parlament in seiner Sondersession, die diese Woche beginnt, in der Hand, die Weichen anders zu stellen. Zum Beispiel, dass die Finanzspritze nur dann gesetzt wird, wenn sich die Swiss dazu verpflichtet, die proklamierten Klimaziele – netto null bis 2050 – zu erreichen. Konkret bedeutet das, weniger Flüge, höhere Flugpreise, kein Wachstum. Falls auch das Parlament sich nicht durchringen kann, die Weichen entsprechend zu stellen, bleibt noch das gute alte Referendum. 
Wird sich eine Mehrheit der Stimmbevölkerung der Einsicht beugen, dass die Corona-Krise nur ein laues Lüftchen war angesichts dessen, was eine ungebremste Veränderung des Klimas anrichten wird? Oder verharren die meisten im akuten Krisenbewältigungs-Modus und entscheiden sich für mehr, mehr, mehr?
Hier tut sich jedenfalls ein weites Feld auf, gerade auch für die bewegte Klimajugend. Jetzt haben wir die Möglichkeit, Nägel mit Köpfen zu machen und zu beweisen, dass wir nicht nur grossmäulig proklamieren, sondern auch bereit sind, konsequent zu agieren. 
Christa Dettwiler 
P.S.: Laut dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hebt jetzt auch das Grosskapital den Warnfinger und verlangt in einem Brief an die führenden Industrie- und Schwellenländer (G20): «Wiederaufbaupläne, die den Klimawandel verschärfen, würden Investoren und Volkswirtschaften in den kommenden Jahren wachsenden finanziellen, gesundheitlichen und sozialen Risiken aussetzen.» Die Absenderin des Briefes, die «Investor Agenda», vertritt die Interessen von über 400 Grossinvestoren, die mehr als 30 Billionen Dollar verwalten. Offenbar wollen sie ihr Geld nur hergeben, wenn «Massnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Pandemie einen grünen Fokus haben.»