Abstimmungskampf übers Portemonnaie

Bild: Klimaschutz-Gesetz 18. Juni 2023
Bild: Klimaschutz-Gesetz 18. Juni 2023

Während das Abstimmungsdatum näher rückt, heizt sich die Stimmung erfahrungsgemäss stetig auf. Allerdings scheint sie diesmal schon von Beginn weg auf dem Siedepunkt angelangt zu sein. Der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, ein eigentlich einleuchtender, gut helvetischer Kompromiss, ist weitgehend unumstritten. Dennoch schafft es eine Partei, auch daraus ein Schreckensszenario zu stricken.

Das Volk, das eh schon geknechtete, wird vollends verarmen. In der WOZ hat der Cartoonist Ruedi Widmer für einmal nicht zum Zeichenstift, sondern in die Tasten gegriffen, um seinem Unmut Luft zu verschaffen: «Die SVP-Granden sitzen auf den noch unverbrannten Erdölfässern ihrer Glaubensbrüder aus dem Nahen Osten und Russland. Dafür verbrennen sie Millionen von Propagandafranken, nur um diese Fässer auch noch zu verbrennen.» Während Industrie und Gewerbe schon längst die Seiten gewechselt hätten, weil der Energieumbau die Wirtschaft beflügle, setze die Rechtspartei nur noch «auf alte, alt gebliebene und atombetriebene Leute aus den 1970er Jahren».

 

Nachdem nun auch die FDP-Delegiertenversammlung die Ja-Parole zum Klimaschutzgesetz ausgegeben hat, müsste die Sache eigentlich gelaufen sein, aber die Erfahrung zeigt, dass dem eben nicht so ist. In einem ausführlichen Interview in der «SonntagsZeitung» meldet nun auch der ETH-Professor Andras Züttel Bedenken an. Züttel ist nicht irgendwer. Er ist Spezialist für erneuerbare Energien und leitet die schweizweit grösste Studie zu Kosten und Machbarkeit der Energiewende. Eine Studie, auf die sich auch der Bund beruft. 

 

Zwar werde Energie teurer, wenn Erdöl, Gas und Atomstrom vollends durch Erneuerbare ersetzt würden, sagt auch er, nur wie viel teurer? Die SVP beruft sich nämlich auf Küttels Studie und heult, die Energiekosten stiegen pro Person und Jahr von 3’000 auf 9’000 Franken. Das kann schon Angst auslösen im «Volch». Küttel relativiert: «Eine Verdreifachung der Energiekosten würde sich nur dann ergeben, wenn künftig alle Autos und alle Heizungen mit erneuerbaren flüssigen Brennstoffen wie zum Beispiel synthetischem Öl betrieben würden, welches aus Strom hergestellt wurde.» 

 

Das heisst übersetzt: Das Argument der SVP ist schlicht absurd. Denn ein solches Szenario kommt in der Schweiz bestimmt nicht zum Tragen. Dennoch werde die Energieversorgung teurer. Vor allem, um Reserven bereitzustellen. Küttel: «Speichern kostet mehr als die Produktion. Deshalb sind erneuerbare Energien in der Realität unter dem Strich betrachtet teurer als fossile Energie.»

 

Auch das ist eine Aussage, die etwas genauerer Betrachtung bedarf. Wo genau wird der Strich in der Realität gezogen? In wie weit werden die gewaltigen Umwelt- und Klimaschäden, verursacht durch die Nutzung fossiler Energien, in die Kostenrechnung mit einbezogen? Wohl eher weniger, denn sonst könnte kein Energiespezialist eine solche Aussage mit gutem Gewissen stehen lassen. Andras Küttel gehört keineswegs zu den «alten, alt gebliebenen und atombetriebenen Leuten». Im Interview sagt er klar und deutlich: «Die Energiewende muss und wird gelingen. Wir haben gar keine andere Wahl, als aus den fossilen Energien auszusteigen.»

 

Er warnt aber auch deutlich davor, das Land jetzt mehr oder minder kopflos in eine Energiewende zu stürzen, die nicht vollständig durchdacht ist. Doch dafür dürfte es etwas spät sein. Bund und Parlament sind unter Druck, von ganz verschiedenen Seiten und Interessensgruppen. Am meisten Druck aber erzeugt die Wirklichkeit. Der Frühling hat noch gar nicht richtig begonnen, schon werden Hitzerekorde gebrochen, trocknen ganze Landstriche aus, brennen schon die Wälder. Mit dem Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative erhält der Bund jedenfalls ein Instrument in die Hand, um das, was uns klimamässig droht, doch noch etwas abzufedern. Ungeschoren werden wir nicht mehr davonkommen. 

 

Das Gesetz fordert eine CO2-neutrale Schweiz bis 2050, doch dieser Zug dürfte den Bahnhof bereits verlassen haben. Küttel ist da realistisch: «Das würde heissen, dass die Schweiz in 27 Jahren CO2-frei sein müsste. Das halte ich bei der gegenwärtigen Entwicklung für wenig wahrscheinlich.» Er verweist darauf , dass die Nation aktuell zu 75 Prozent mit fossilen oder atomaren Energieträgern betrieben wird. 

 

Diese in etwas mehr als einem Vierteljahrhundert vollständig mit Erneuerbaren zu ersetzen, scheint tatsächlich etwas illusorisch. Es aber nicht wenigstens zu versuchen, sondern weiter zu debattieren, zu verzögern und die Stimmung gegen das Klimaschutzgesetz einmal mehr übers Portemonnaie anzuheizen, ist fatal.  

Christa Dettwiler