Energieversorgung neu denken

Vögel sitzen auf Stromleitung
Foto: Sonja & André

 

Es fällt schwer, Abschied zu nehmen. Vor allem von Gewohnheiten. Und wenn es darum geht, von Gewohnheiten Abschied zu nehmen, mit denen sich haufenweise Geld verdienen lässt, geschieht das allenfalls nur unter stärkstem Druck. Beim Thema Energieversorgung ist der Druck da. Und er ist enorm. Die Erde heizt sich massiv auf, allerlei Kipppunkte sind bereits erreicht, anstatt zu sinken, steigt der CO2-Ausstoss auf neue Rekordhöhen.

Offenbar reicht das immer noch nicht, um sich aus der fossilen Abhängigkeit zu befreien. Wer am Cop 28 diesen Begriff in den Mund nimmt, wird von den mehr als 2000 anwesenden Öl-Lobbyisten übertönt. Es geht ganz einfach um zu viel Geld. Lieber mit Karacho dem Untergang entgegen, als auf die Milliarden aus der Öl- und Gasförderung verzichten. Was für ein Armutszeugnis für eine aufgeklärte Gesellschaft.

Es scheint nicht nur unmöglich, sich von fossilen Energieträgern zu entwöhnen, es fällt offenbar auch schwer, die fixe Idee der zentralen Energieversorgung zumindest in Frage zu stellen. Wenn schon Solarkraftwerke, dann möglichst grossflächig – egal, dass der produzierte Strom über lange Strecken zu den Konsumentinnen transportiert werden muss. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat sich die Alternative dazu genauer angesehen und eine Studie unter dem Titel "Das dezentralisierte Energiesystem im Jahr 2030" veröffentlicht.

Die Studie erhielt das Etikett "wegweisend". Sie untersucht "einen systemischen Bottom-up Ansatz zur Marktintegration dezentraler Verbrauchs- und Erzeugungseinheiten, insbesondere durch die Einführung von Peer-to-Peer (P2P) Stromhandelsplätzen. Was kompliziert klingt, ist eigentlich ganz einfach: Menschen produzieren erneuerbaren Strom, verkaufen und kaufen ihn untereinander, ohne Zwischenhändler.

Die Studie basiert auf Simulationen eines sogenannten agentenbasierten P2P-Strommarktmodells mit 967 Agenten, die untereinander Strom handeln. Die Agenten repräsentieren unterschiedliche Energieanlagen wie PV, Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Batteriespecher, Haushalts- und Industrielasten sowie Windkraftanlagen im deutschen Strommarkt 2030. Dabei wurden sechs Szenarien untersucht , etwa mit variierenden Strompreisen oder Netzabgaben. Eines der Resultate ist, wen wundert's, dass die Stromklosten für Endkunden sinken. Bei lokaler Enführung um vier Prozent, bei nationaler Marktöffnung um 20 Prozent. Wird das P2P-System ausgeweitet, sinken die Preise weiter.

Wer die Geschichte von Solarspar kennt, erinnert sich vielleicht an die ersten Versuche des Vereins mit sogenannten PPP-Anlagen. Dabei unterstützt Solarspar Gemeinden dabei, ihre Bevölkerung mit Solarstrom zu versorgern. Einwohnerinnen finanzieren die Kraftwerke auf Schulhausdächern oder anderen gemeindeeigenen Bauten mit Darlehen und werden gleichzeitig zu Kundinnen für den sauberen Strom. Solarspar unterstützt mit Planung, begleitet die Installationen und übernimmt die Abrechnungen.

Auch dieses Modell ist eine überzeugende Alternative zu zentralen Grosskraftwerken und Abhängigkeiten von den volatilen Strompreisen am internationalen Markt. Mit den in den letzten Jahren stark gesunkenen Gestehungskosten von Solarstrom, erhalten ganze Gemeinden Zugang zu sauberem, kostengünstigem Strom.

Während an den letzten Tagen des Cop28 in Sachen fossile Energieträger um die Begriffe "phase out", "phase down" oder "unabated" gerungen wird, nehmen immer mehr Menschen Abschied von Althergebrachtem und schlagen neue, unkonventionelle Wege ein, um die Welt energetisch am Laufen zu halten, ohne dem Klima zu schaden.

 

Christa Dettwiler