Wollen wir wirklich weiterwarten?

Photo: Miguel Bruna auf Unsplash
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Ist es wirklich machbar? Das ist die stereotype Frage auf die Forderung, die Schweiz müsse bis 2050 komplett auf erneuerbare Energie umgestellt sein. Wer sich dem fortschrittlichen Lager zuordnet, antwortet mit ja. Ist man eher konservativ gestimmt, ist ein Nein die einzig richtige Antwort. Beide Fraktionen können sich auf zahllose Studien, Untersuchungen und Simulationen stützen, die ihre Haltung untermauern.

ETH-Student Ursin Gstöhl wollte mit seiner Masterarbeit wahrscheinlich Klarheit schaffen. Unterstützt von seinem Betreuer, Stefan Pfenninger, machte er sich daran herauszufinden, ob Schweizer Haushalte bis Mitte des Jahrhunderts komplett energieautark werden können. Notabene allein mit Photovoltaik. In seiner Untersuchung geht es also einzig und allein um Wohnbauten, die rund die Hälfte des Schweizer Energiebedarfs verbrauchen. 
Die Antwort, so ist zu befürchten, werden beide Lager für sich in Anspruch nehmen. Die Ja-Fraktion wird sich darauf stützen, dass laut Untersuchung eine vollständige Selbstversorgung (Strom / Heizung / Elektromobilität) für Ein- und Mehrfamilienhäuser mittels Photovoltaik technisch durchaus machbar ist. Dafür müsste die Photovoltaik allerdings massiv ausgebaut werden. Auch das: technisch kein Problem. 
Wie sieht es auf der finanziellen Seite aus? Hier ist die Sachlage etwas komplizierter. Damit sich flächendeckende energieautarke Haushalte lohnen, müssten etwa die Kosten für die Energiespeicherung sinken und die staatlichen Anreize entsprechend ausgestaltet werden.
Die Masterarbeit räumt ein, dass für komplett energieautarke Häuser höhere Energiekosten anfallen, als für solche, die sowohl eigenen Solarstrom produzieren wie auch Strom aus dem Netz beziehen. Wobei es sich heute schon lohnt, einen Teil des Eigenbedarfs mit Solarstrom vom Hausdach zu decken. Solche Haushalte weisen nämlich tiefere Energiekosten aus als jene, die für Heizung und Mobilität auf fossile Brennstoffe setzen. 
Auch das Nein-Lager wird sich also die Hände reiben, und die Gstöhl-Untersuchung auf ihrer Seite verbuchen. Zu teuer, werden sie sagen, nicht durchsetzbar. 
Nun ist es allerdings so, dass es im Grunde nicht wirklich eine Rolle spielt, welchem Lager man angehört. Dass wir, um das Klima auch nur einigermassen im Lot zu halten, so schnell wie möglich fossile Energieträger ersetzen müssen, sollte mittlerweile allen Lagern bewusst sein. Denn, wenn wir uns eines nicht leisten können, ist es ein Weiter-wie-bisher. Auch wenn die immensen Kosten, die ein sich stetig erwärmender Planet halt so mit sich bringt, den nächsten Generationen aufgebürdet werden – anfallen werden sie. 
Und wenn es schon so elegante Lösungen gibt wie energieautarke Häuser, die allein von der Sonne versorgt werden, dann sollten wir sie – auch im Interesse der Nein-Sager und Zweiflerinnen – heute schon nutzen. 
Christa Dettwiler