Und sie bewegt sich doch

Photo: Fré Sonneveld auf Unsplash
Photo: Fré Sonneveld auf Unsplash

Ältere Solarkraftwerk-Betreiberinnen erinnern sich: Was wurde da geunkt, wie Solarstrom das Stromnetz belaste, wie er Schwankungen verursache oder die Stromversorgung unberechenbar mache. Mittlerweile hat sich diese Diskussion beruhigt. Jetzt beugt sich auch der Betreiber des Schweizer Übertragungsnetzes  Swissgrid den Tatsachen: Er will sogar die Bevölkerung einbinden, um ein störungsfreies Hochspannungsnetz rund um die Uhr garantieren zu können. 

Letzte Woche gab Swissgrid bekannt, dass es zusammen mit Partnern in Deutschland, Italien und den Niederlanden die Crowd Balancing Platform «Equigy» gründet. 
«Das Projekt verfolgt das Ziel, kurzfristige Schwankungen mit Unterstützung von kleinen dezentralen Energiequellen im Übertragungsnetz auszugleichen», schreibt Swissgrid auf seiner Webseite. Weil sich die Energiewelt auf Angebots- und Nachfrageseite rasant verändere, seien nun neue Lösungen gefragt. Auf der einen Seite sind neue erneuerbare Stromquellen abhängig von Wetter, Tages- und Jahreszeit. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage etwa durch die Verbreitung von Elektroautos, Wärmepumpen und anderen Geräten, die Strom brauchen. Deshalb müssen Übertragungsnetzbetreiber neue Wege gehen, um Produktion und Verbrauch im Gleichgewicht zu halten. 
Hier kommen nun auch individuelle Stromproduzenten und -konsumentinnen ins Spiel: PV-Anlagenbetreiber, Batteriespeicher-Besitzerinnen, Betreiber von Kleinwasserkraftwerken, Elektroautofahrerinnen, Wärmepumpenbetreiber – alle zusammen können künftig einen Beitrag für eine sichere Stromversorgung leisten. Schon ab diesem Sommer soll «Equigy» mittels Blockchain-Technologie sie alle in den Regelenergiemarkt einbinden. Wer solche kleinen Einheiten besitzt, kann seine verfügbaren Kapazitäten den Übertragungsnetzbetreibern zur Netzstabilisierung zur Verfügung stellen.
Damit das Netz von kleinen Energiedienstleistern funktioniert, «braucht es eine sichere und einfache Koordination der vielen einzelnen Anbieter, damit wir in Echtzeit sehen können, wo welche Anlage zur Verfügung steht», sagte Maurice Dierick, Leiter Market bei Swissgrid, gegenüber den Medien. Dazu braucht es bei jedem einzelnen Energieanbieter einen Smart Meter, das jeweils Stromproduktion und -verbrauch überwacht.
Je mehr dezentrale Energietechnologien an das europäische Netz angeschlossen werden, desto grösser wird auch der verfügbare Pool an flexiblem und grünem Strom, meint Swissgrid. Nur damit könnten die Umsetzung der Energiestrategie 2050, sowie der New Green Deal der EU gelingen. 
Das ist doch echte Zukunftsmusik: Ein dicht gewobenes Netz von Menschen, die Strom produzieren, ins Netz einspeisen und ihn auch wieder daraus beziehen. Alle miteinander verlinkt, alle mit verantwortlich und – so ist zu hoffen – auch verantwortungsbewusst.
Christa Dettwiler