Der Abgrund zwischen Sollen und Wollen

Illustration: kuba.iwoe.unisg.ch
Illustration: kuba.iwoe.unisg.ch

Die Universität St. Gallen fühlt regelmässig den Puls der Schweiz – wie er beim Thema erneuerbare Energien steigt oder fällt. Zum zehnten Mal hat das sogenannte Kundenbarometer sondiert, wie ein repräsentativer Ausschnitt der Schweizer Bevölkerung erneuerbare Energien und Klimawandel einordnet. Besonders interessant ist auch, wie sich diese Ansichten über die Jahre verändert haben.

Nur gerade etwa 47% der Befragten glaubten 2015, dass die Welt eines Tages ohne fossile Brennstoffe auskommen kann. Heute, fünf Jahre später, sind es bereits 67%. Folgerichtig sind etwas mehr als die Hälfte der Befragten der Ansicht, die Energiewende vollziehe sich zu langsam. Diese knappe Mehrheit spricht sich konsequenterweise auch für ein Verbot von Ölheizungen aus, und das in dem Land mit der höchsten Ölheizungsdichte in ganz Europa.

 

Grosse Zustimmung erhält auch der Ausbau der Solarenergie. Die Umfrage stellte eine hypothetische Volksabstimmung zur Wahl. Dabei soll der Ausbau der Sonnenenergie durch einen einmaligen Investitionsbeitrag der Schweizerischen Nationalbank neuen Schub erhalten – der Bank, die 2019 einen Gewinn von 49 Milliarden Franken ausgewiesen hat. 71% der Befragten würden einen solchen Vorstoss unterstützen.

 

Diese Zahlen widerlegen das politische, ökonomisch diktierte Argument, die Bevölkerung sei primär an möglichst billiger Energie interessiert und mithin nicht für klimaverträgliche Varianten zu gewinnen. Der Eindruck, dass das Volk sich durchaus Sorgen um die Zukunft der Erde macht, und damit der Politik einen grossen Schritt voraus ist, wird durch die Ergebnisse des Kundenbarometers bestätigt. Aufhorchen lässt, dass 67% der Befragten die Gletscher-Initiative anzunehmen bereit sind. Unter den 30-Jährigen steigt dieser Wert sogar auf 78%.

 

Das Kundenbarometer hat auch die Gefühlslage beim Klimawandel abgefragt. 53% reagieren auf den Klimawandel mit Trauer, 37% haben Angst davor. Das ist kein Wunder, wenn 69% der Befragten davon ausgehen, dass der Klimawandel auch ihre Region verändern wird. Eine knappe Mehrheit sieht die Anzeichen dafür schon heute.  

 

Nicht überraschend geniesst die Klimajugend grosse Sympathien: Vier von fünf Befragten stehen dem Engagement der klimabewegten Jugendlichen positiv gegenüber. Allerdings sind zwei von drei eher skeptisch, ob die Klimastreiks eine Änderung bewirken. Die Mehrheit der Befragten (78%) hofft denn auch eher auf technologische Lösungen. Wenn es ums eigene Verhalten geht, sacken die Zahlen dramatisch ab. Nur gerade 20% trauen es ihren Mitmenschen zu, dem Klima zuliebe den Energieverbrauch freiwillig zurückzufahren. Gleichzeitig sind 67% davon überzeugt, dass ein verändertes Konsumverhalten entscheidend ist, um den Klimawandel einzudämmen. 

 

Und damit ist die schier unlösbare Diskrepanz zwischen Sollen und Wollen einmal mehr klar dokumentiert. 67% der Befragten meinen, Fliegen sei zu billig. Das sind immerhin 10% mehr als vor zwei Jahren. Wie viele jedoch freiwillig auf Flureisen zu verzichten bereit sind, wurde nicht abgefragt.

 

Christa Dettwiler

 

Kundenbarometer erneuerbare Energien

 

Seit 2011 hat sich das Kundenbarometer erneuerbare Energien als eine der umfassendsten jährlichen Untersuchungen der Präferenzen der Schweizer Bevölkerung in Energiefragen etabliert. Die wissenschaftliche Leitung der Studie liegt beim Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien der Universität St.Gallen (HSG). Raiffeisen Schweiz finanziert die Durchführung der Befragung und unterstützt die Entwicklung des Fragebogens. Weiterhin unterstützt das 2001 vom Bundesrat lancierte Programm EnergieSchweiz die Studie. Das Sample (N=1021) ist bevölkerungsrepräsentativ im Hinblick auf Geschlecht, Region, Bildungsstand und Parteipräferenzen.