Bürgerinnen wollen wirksamen Klimaschutz

Photo: zvg
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Sie wurden zufällig ausgelost, beschlossen haben sie alles andere als Zufälliges: Jene 150 Personen, die seit Oktober 2019 den französischen Bürgerrat für Klimaschutz konstituieren, haben jetzt auf 500 Seiten radikale Vorschläge vorgelegt.

Tempolimit auf Autobahnen, keine Inlandflüge mehr ab 2025, keine neuen Flughäfen, keine Werbung für klimaschädigende Produkte wie SUVs oder Fleisch, vegetarisches Kantinenessen, Gutscheine für Sozialhilfeempfänger für Bioläden und lokale Produzenten, energetische Sanierung aller Gebäude bis 2040, Solarpanels auf öffentlichen Gebäuden, Kerosinsteuer, umfassendes Plastikrecycling ab 2023... Die insgesamt 149 Vorschläge sollen im Herbst im französischen Parlament debattiert werden. Ach ja, auch für die Finanzierung fanden die findigen Bürgerinnen einen klugen Dreh: Firmen, die mehr als zehn Millionen Euro Dividenden ausschütten, sollen vier Prozent davon für staatliche Ökoprojekte abtreten. 

 

Der repräsentative Ausschnitt der französischen Bevölkerung hatte die Aufgabe, Frankreichs Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, ohne dass ärmere Menschen darunter leiden. Er hat geliefert, und wie. So soll das Volk zum Beispiel auch darüber abstimmen können, ob Klimaschutz in der ersten Präambel der französischen Verfassung verankert werden soll. Das würde die Chancen auf Klagen gegen die Regierung wegen Untätigkeit in Sachen Klimaschutz klar erhöhen. In einem zweiten Referendum soll ein neuer Straftatbestand geschaffen werden: Ökozid. Unternehmen, die das Artensterben begünstigen, die Klimakrise verschärfen oder dem Boden schaden, müssten sich vor Gericht verantworten.

 

Präsident Emanuel Macron, der diesen Bürgerrat als Reaktion auf die Gelbwesten-Proteste ins Leben rief, will 146 Vorschläge im Herbst ins Parlament bringen. Beim Empfang des Bürgerrates sagte er: «Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Ökologie im Herzen unserer Politik sein muss.» 

 

Auch das kommt nicht ganz zufällig. Denn nach den Kommunalwahlen im Juni, die für Macrons Partei zum Debakel geriet, werden die grössten französischen Städte alle grün regiert. In Paris etwa wählte die Bevölkerung ein Programm, dass die Stadt grundlegend verändern dürfte. Die Hälfte der Parkplätze soll in Radwege und grüne Inseln verwandelt, in den Schulkantinen lokales Bio-Essen aufgetischt werden, dazu kommen innerstädtische Höchstgeschwindigkeiten von 20 oder 30 km/h und Solarkraftwerke auf öffentlichen Gebäuden. Macron wurde nicht zuletzt dafür abgestraft, dass er seine ökologischen Wahlversprechen von 2017 reihenweise brach.  

 

Auch der Bürgerrat kam nicht mit allen Vorschlägen durch: Macron legte sein Veto gegen das Tempolimit von 110 km/h auf Autobahnen ein, weil es der Landbevölkerung schade. Auch die Dividendensteuer lehnte er ab, weil sie Anleger abschrecke. Wie formulierte es die Journalistin Annika Joeres in der Zeit so schön: «Die grüne Welle hat zwar Frankreich überrollt, aber seinen liberalen Präsidenten nur ein bisschen erwischt.»

 

Christa Dettwiler