Lebensmittel mit Beigeschmack

Photo: Solarspar
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Als Nützling würde ich den Menschen wahrlich nicht bezeichnen. Nur schon möglichst umweltverträglich zu leben, ist eine echte Herausforderung. Alles, was wir tun, um einfach die Grundbedürfnisse zu decken, hat verschiedene Folgen für Luft, Wasser, Boden und Mitlebewesen. 

Nehmen wir zum Beispiel die Nahrungssuche: Regelmässig jagen wir in Supermärkten oder Discountern nach Schnäppchen und Sonderangeboten. Aktuell gibt’s bei Lidl kalifornische Mandeln für 1.99 als Superaktion, bei Aldi kostet die Papaya aus Brasilien 1.49 und bei Denner sind 100 g falsches Schweinsfilet für 1.29 zu haben.

 

Umso überraschender ist es, dass ausgerechnet ein Billiganbieter die tatsächlichen Kosten für menschliche Nahrung untersuchen liess. Der deutsche Discounter Penny, der zur Rewe-Gruppe gehört, vergab den Auftrag an den Wirtschaftsinformatiker Tobias Gaugler von der Universität Augsburg. Er und sein Team sollten die «wahren Kosten» für 16 Eigenmarkenprodukte ausrechnen. Darunter fällt nicht nur die Herstellung, untersucht wurden auch die bei der Produktion entstehenden Treibhausgase oder die Folgen intensiver Landwirtschaft.

 

Es sind jene Kosten, die bei der Berechnung der Ladenpreise unter den Tisch fallen. Dazu Gaugler: «Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmittelpreis. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last.» Würden diese Kosten in die Preisgestaltung miteinbezogen, wäre es vorbei mit den Schnäppchen. Der Preis für Fleisch aus konventioneller Aufzucht müsste um glatte 173 Prozent steigen. Auch Milchprodukte wären nur noch mit happigem Aufschlag zu haben: Ein Liter Milch würde um 122 Prozent teurer, Gouda-Käse um 88 Prozent, Mozzarella um 52 Prozent. Bei Früchten und Gemüsen wäre der wahre Preis zwischen 8 und 19 Prozent höher. 

 

Diese Berechnungen, das geben die Wissenschaftler offen zu, beinhalten keineswegs alle Folgekosten der Nahrungsproduktion für Menschen. So liessen sich etwa die Folgen des massiven Antibiotika-Einsatzes in der Tierzucht, von Pestiziden oder Düngern schlicht nicht beziffern. Ebenso sind die sozialen Kosten nicht berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass ungefähr ein Drittel der so aufwändig hergestellten Nahrungsmittel auf dem Müll landen, wird in dieser Untersuchung nicht thematisiert. 

 

Das tat schon 2014 der Bericht «Food wastage footprint: full cost accounting», den die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veröffentlichte. Die Berechnungsmethode wurde damals in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) in Frick entwickelt. Die Zahlen sind schwindelerregend. Zu den wirtschaftlichen Produktionskosten von rund einer Billion US-Dollar pro Jahr kommen ökologische und soziale Kosten von 700 und 900 Billionen Dollar dazu.

 

Diese Zahlen sind so gross, dass sie nicht zu fassen sind. Der Discounter Penny will sie deshalb für uns Konsumentinnen begreiflich machen. In einem neuen Supermarkt in Berlin sollen für je acht konventionell und ökologisch erzeugte Eigenmarkenprodukte die wahren Kosten transparent gemacht werden. Bezahlen muss der Kunde dafür nicht. Die Augsburger Wissenschaftler hoffen aber, dass diese Informationen Konsumentinnen zum Denken anregen, und sie sprechen sich dafür aus, dass die Umweltfolgekosten künftig auf die Nahrungsmittelpreise aufgeschlagen werden. Die Co-Autorin der Studie, Amelie Michalke, ist überzeugt: «Die Preisanpassungen der Lebensmittelmärkte würden wahrscheinlich zu deutlichen Verschiebungen hin zu mehr pflanzlichen und mehr Bioprodukten führen und gleichzeitig die Umweltschäden deutlich reduzieren.»

 

Wäre doch schön, wenn wir dereinst Bertold Brecht widerlegen könnten, der in der Dreigroschenoper behauptete: «Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.»

 

Christa Dettwiler