Ohne Rendite kein Klimaschutz

Photo: Patrick Robert Doyle auf Unsplash (Rhonegletscher)
Photo: Patrick Robert Doyle auf Unsplash (Rhonegletscher)

(am Beispiel Lonza)

Wie so vieles im vergangenen Jahr, fand auch der Klimagipfel im Dezember virtuell statt. Nicht das schlechteste, wenn man bedenkt, wie viele Flugkilometer damit weggespart worden sind. UN-Generalsekretär Antonio Guterres fand auch virtuell klare Worte, um der Staatengemeinschaft ins Gewissen zu reden. Er forderte nicht weniger, als dass weltweit der Klimanotstand ausgerufen werde. «Um es einfach auszudrücken», mahnte er, «der Zustand des Planeten ist beschädigt. Die Menschheit führt Krieg gegen die Natur».

Dann zählte Guterres die Opfer dieses Krieges auf: Die Biodiversität kollabiert, eine Million Lebensformen drohen auszusterben, ganze Ökosysteme verschwinden, Wüsten breiten sich aus, Feuchtgebiete gehen verloren, jährlich verschwinden zehn Millionen Hektaren Wald, Ozeane sind überfischt und ersticken an Plastikabfällen, CO2 versauert die Meere, Korallenriffe sterben, Wasser- und Luftverschmutzung töten neun Millionen Menschen jährlich.

 

Das klingt dramatisch, entspricht jedoch den Tatsachen. Das vergangene Jahr war nicht nur das zweitwärmste in der Geschichte, es brachte uns Grossbrände, die sämtliche Rekorde brechen. Hitzeperioden, die sämtliche Rekorde brechen. Mehr heftige Stürme, als je zuvor, und eine rekordverdächtige Eisschmelze in der Arktis.

 

Trotz allen Vereinbarungen, Klimazielen und –gipfeln steigt der Ausstoss von Treibhausgasen weiter.     

 

Wie kann das sein? Die Debatten und Überlegungen während der Corona-Pandemie geben zumindest eine Antwort. In aller Öffentlichkeit wurden Menschenleben gegen Wirtschaftsinteressen abgewogen. Das ist beim Klimawandel nicht anders. Nur, dass der nicht nur das Überleben der Menschen tangiert, sondern die Existenz von Milliarden Mitlebewesen. Wenn schon ein Menschenleben gegenüber Wirtschaftsinteressen als zweitrangig angesehen wird, dann haben die anderen Spezies, die diesen Planeten mit uns teilen, sehr, sehr schlechte Karten.

 

Was das schnelle und konsequente Handeln verhindert, zeigt beispielhaft der Fall des Walliser Unternehmens Lonza. Im Gebäude D29 stellt Lonza in Visp seit rund 50 Jahren den Nahrungsmittelzusatz Niacin her. Ein Nebenprodukt dieses Verfahrens ist Lachgas – 300 Mal klimaschädlicher als CO2. Das Lachgas, das die Fabrik jährlich in die Umwelt abgibt, entspricht mehr als einer halben Million Tonnen CO2. Das ist nicht nichts. Die Menge macht über ein Prozent des gesamten Treibhausgasausstosses der Schweiz aus. Lange hatte das keine Konsequenzen, weil für Lachgas weder eine Kontrollpflicht noch ein Grenzwert existiert. Denn das Gas schadet Menschen und Natur unmittelbar nicht. 

 

Erst im Frühjahr 2017 fiel jemandem auf, was im Wallis vor sich geht, und eine Lösung des Problems war schnell zur Hand: Mit einem Katalysator lässt sich das Gas fast vollständig neutralisieren. Seit zwei Jahren sind die Lonza und der Bund im Gespräch, wie dieses Treibhausgasleck gestopft werden kann. Geschehen ist bis dato nichts.

 

Denn die Lonza stellte die Bedingung, dass der Bau des Katalysators – der den Sechs-Milliarden-Konzern etwa 12 Millionen kostet – als CO2-Kompensationsprojekt anerkannt wird. DAS MAGAZIN beschrieb in einer Reportage zu diesem Fall im letzten Oktober die Argumentation der Lonza so: «Denn ohne den Erlös aus dem Verkauf von CO2-Bescheinigungen sei das Projekt ‹nicht wirtschaftlich und wird deshalb nicht realisiert ›. Das Unternehmen will also dafür bezahlt werden, dass es aufhört, das Klima zu belasten. Sonst läuft D29 (das Gebäude, in dem Niacin hergestellt wird) einfach weiter.»

 

Tatsächlich läuft die Anlage weiter, obwohl Umweltvertreter gefordert hatten, den Betrieb bis zum Einbau des Katalysators stillzulegen. Mit andern Worten, seit den ersten Hinweisen auf das Lachgas bis zu einer Lösung des Problems, werden fast fünf Jahre vergangen sein. An die umgerechnet 2,7 Millionen Tonnen CO2 sind in dieser Zeit in die Atmosphäre gepumpt worden. Eine Gesetzeslücke, Behörden, die nicht konsequent handelten und ein Unternehmen, das für den Klimaschutz bezahlt werden will, haben das ermöglicht.  

 

Und da zeigt sie sich, die Crux des Klimaschutzes, in ihrer ganzen unverhüllten Blösse. 

 

Übrigens: In der Lonza steht alles bereit, um den Impfstoff des US-Herstellers Moderna zu produzieren, sobald der von Swissmedic zugelassen ist. 800 000 Dosen täglich sollen es sein. Vielleicht kann sich das Unternehmen ja damit den Katalysator verdienen.

 

Christa Dettwiler