Wieso es für das Schweizer CO2-Gesetz am 13. Juni ein DEUTLICHES JA braucht:
Das deutsche Verfassungsgericht schreibt Geschichte: Es hat der Klage der Klimabewegten gegen das Klimapaket der Regierung stattgegeben. Auch in der Schweiz opponiert ein Teil der Klimajugend gegen das CO2-Gesetz, das im Juni zur Abstimmung kommt.
Was viele als Zwängerei ansehen, hüben wie drüben – im Sinn von «lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach» – erhält mit diesem Urteil einen völlig neuen Dreh.
Der Kernsatz des Urteils: «Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast grosse Teile des CO₂-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbussen ausgesetzt würde.» Oder wie es Rechtsanwältin Roda Verheyen, die einige Klägerinnen vertritt, übersetzt: «Der Schluck aus der Pulle bis 2030 ist zu gross.»
Zwar legen sowohl das deutsche wie das Schweizer Klimapaket verbindliche Reduktionsziele fest, allerdings erst in zehn bis 30 Jahren. Damit wollte sich die Klimajugend nicht abfinden. Klimaaktivistin Line Niedeggen: «Aufschieben und unzureichende Klimaziele gefährden nicht nur die Natur, sondern unser Recht auf Leben und das Recht auf Zukunft.» Das hat das Verfassungsgericht überzeugt: «Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030».
Immerhin gibt es mit dem CO2-Gesetz einen griffigen Massnahmenkatalog, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken. Das ist ein wichtiger Zwischenschritt, um die Klimaziele zu erreichen. Zu Recht warnt das deutsche Verfassungsgericht, dass nach 2030 immer dringendere und kurzfristigere Massnahmen nötig wären, um das Klimaziel zu erreichen. «Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.» Das sind erstaunlich klare Worte. In Deutschland spricht man sogar von einem historischen Urteil. Es verpflichtet die Regierung, das Klimaschutzgesetz nachzubessern. Das Gericht setzte eine Frist bis Ende 2022.
Ins selbe Horn stossen auch immer mehr Wissenschaftler. Etwa James Dyke, Robert Watson und Wolfgang Knorr in ihrem vielbeachteten Beitrag auf der Plattform «The Conversation». Sie warnen, das gesamte Konzept hinter dem Versprechen, in ein paar Jahren netto keine Treibhausgase mehr auszustossen, sei eine gefährliche Falle. «Innerhalb weniger Jahrzehnte müssten wir unsere Zivilisation, die derzeit jedes Jahr 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpt, so umwandeln, dass sie ihr mehrere zehn Milliarden Tonnen CO₂ entzieht.» Der Ansatz eines fernen Netto-Null-Ziels sei zwar eine grossartige Idee,«leider hilft es in der Praxis, den Glauben an die technologische Rettung aufrechtzuerhalten, und verringert das Gefühl der Dringlichkeit, die mit der Notwendigkeit verbunden ist, die Emissionen jetzt einzudämmen».
Was heisst das für das Schweizer CO2-Gesetz? Nur mit einem wuchtigen Ja können die Abstimmenden deutlich machen, dass ihnen ein gesundes Klima wichtig ist. Nur eine deutliche Mehrheit stärkt dem Bundesrat den Rücken, mit griffigen Massnahmen das Ziel Netto Null so rasch wie möglich ins Visier zu nehmen.
Christa Dettwiler