Die grosse Transformation ist gerade in Mode. Allenthalben wird sie proklamiert – in der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und selbstverständlich auch beim Klima. Auch die 19. Nationale Photovoltaik-Tagung in Bern von letzter Woche hat sich der «grossen anlaufenden Transformation der Schweizer Energieversorgung» angenommen. Das Thema erhielt nach dem Aus des CO2-Gesetzes zusätzliche Dringlichkeit.
Erfreuliche Nachrichten gab’s vorab: Der Zubau an Sonnenenergie im vergangenen Jahr überstieg jenen vom Vorjahr um mehr als ein Drittel. Den Dämpfer gleich darauf: Will die Schweiz ihre Klimaziele einhalten, muss dieses Wachstum in den nächsten Jahren um den Faktor 3 bis 4 gesteigert werden. Der Dachverband Swissolar macht das grösste Potenzial auf bestehenden Dächern und an Fassaden aus. Nach einer neuen Auswertung könnten kleinere und mittlere Anlagen von unter 150m2 auf Ein- und Mehrfamilienhäusern fast die Hälfte des einfach erschliessbaren Solarpotenzials liefern.
Damit dieses Potenzial tatsächlich erschlossen wird, braucht es Investitionssicherheit – und diese wäre mit einer ganz einfachen Massnahme zu schaffen: Ein minimaler Einspeisetarif von 10 Rappen für eine Kilowattstunde Sonnenstrom würde reichen. Vielleicht geht da ja was im neuen Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, das der Bundesrat ausgearbeitet hat. Damit soll ein jährlicher PV-Ausbau von 700 MW erreicht werden. Das ist zwar eine Verdoppelung des aktuellen Zubaus, aber reichen wird das nicht.
Die «grosse Transformation» wird nicht nur in der Schweiz angestrebt. Angesichts der düsteren Prognosen was die Auswirkungen erhöhter globaler Temperaturen angeht, bemühen sich Staaten weltweit, ihre Energieversorgung umzubauen. So stellt etwa der jüngste Bericht der Internationalen Energieagentur IEA erstaunt fest, dass die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen im Jahr 2020 selbst ihre ambitioniertesten Prognosen übertroffen hat: 45 Prozent Wachstum in einem Jahr. Und von den 2020 neu erschlossenen Energiequellen waren 90 Prozent erneuerbar.
Die «grosse Transformation» des Energiesektors ist also in vollem Gange. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die CO2-Emissionen nicht in gleich rasantem Tempo sinken. Dazu bräuchte es eine noch viel grössere Transformation. Wie dringlich die ist, lässt der Entwurf zum IPCC-Bericht erahnen, der in den Medien durchgesickert ist. Obwohl die Verfasserinnen ziemlich sauer auf das Leck reagierten – es sei eben ein Entwurf, mithin nicht vollständig etc. etc., sind die im Bericht gezogenen Schlüsse erschreckend. Der Weltklimarat meint, wenn das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens verfehlt würde, hätte das «irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme».
Konkret: Eine Erderwärmung um zwei Grad setzt 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aus. Bis 2050 bestehe – je nach Umfang des Treibhausgas-Ausstosses – ein Hungerrisiko für bis zu 80 Millionen Menschen zusätzlich. Auf 400 Seiten haben die rund 700 beteiligten Wissenschaftler ein regelrechtes Horrorszenario zusammengetragen. Ernterückgänge durch zunehmende Hitze, Trinkwassermangel, Massenflucht wegen Dürren und Überflutungen von Küstenstädten, fortschreitendes Artensterben, durch Mücken übertragene Krankheiten auch in Europa.
Einen leisen Vorgeschmack auf das, was auf die Erde zukommt, sollten wir tatsächlich auf eine Erwärmung um drei Grad zusteuern, wie die IPCC-Expertinnen befürchten, haben wir diesen Sommer bereits erhalten. Tornado in Tschechien, extreme Hitzewelle im Nordwesten der USA und in Kanada, heftige Gewitter und Starkregen mit Überschwemmungen in der Schweiz … Es ist keine gute Idee, die «grosse Transformation» auf die lange Bank zu schieben. Oder wie die Klimajugend skandiert: «What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!»
Christa Dettwiler