Schuld sind immer die anderen

Stromkonzerne
Bild: Matthew Henry auf Unsplash

Der Ofen ist noch längst nicht aus bei den grossen Schweizer Stromkonzernen. Ganz im Gegenteil. Eben hat die Schweizer Energiestiftung SES ein paar Zahlen veröffentlicht, die für Stirnrunzeln sorgen. Zu fast zwei Dritteln stammt der Strom von Axpo und Co. aus fossilen und nuklearen Quellen. Unser Nachbarland Österreich geht da ganz andere Wege. In der ersten Juli-Woche verabschiedete der Nationalrat das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz (EAG), das bis in knapp zehn Jahren klimaneutralen Strom verspricht.

Zwei Millionen Solarpanels, 1000 Windturbinen, Biomasse und Fernwärme, 100’000 grüne Jobs, Investitionen über 40 Milliarden Euro – das ist Österreichs Ziel bis 2030. Davon ist die Schweiz weit, weit entfernt. Zwar will der Bundesrat die Produktion von Sonne und Wind bis 2035 auf 17 Terawattstunden vervierfachen, nur wie soll das wahr werden?

 

Die Axpo etwa betreibt heute in der Schweiz eine einzige Windturbine im Entlebuch. Und daran, so Axpo-Chef Christoph Brand, ist nicht etwa der Stromkonzern selber schuld. Gegenüber der Zeitung Tagesanzeiger sagte er: «Die Windkraftgegner sagen, baut die Wasserkraft aus. Die Wasserkraftgegner sagen, baut Fotovoltaik. Und bei der Fotovoltaik kommt der Denkmalschutz. Uns fehlt der gesellschaftliche Konsens, dass der Strom irgendwoher kommen muss und dass es ohne Kompromisse nicht geht.»

 

Nun ja, möglicherweise hat der gesellschaftliche Konsens mit dem struben Wetter der vergangenen Wochen einen neuen Schub erhalten … Die Antwort des Konzernchefs allerdings klingt allzu sehr nach demselben alten Schuldzuspielungen, die beim Klimaschutz nun schon allzu bekannt sind. 

 

Österreich, du hast es besser. Heute schon stammen vier von fünf Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen. In der Schweiz stammten 2020 gerade einmal sechs Prozent der Produktion der vier grössten Schweizer Stromproduzenten aus erneuerbaren Quellen – 0,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit diesem Mix stehen Axpo, Alpiq, BKW und Repower noch schlechter da als der Schweizer Durchschnitt. Insbesondere ihre Beteiligungen an Gaskraftwerken tragen zu dieser miserablen Bilanz bei. Florian Brunner, Leiter Fachbereich Klima bei der SES, bilanziert: «Die Klima- und Umweltbelastung aus dem Strommix der grössten Schweizer Stromversorger bleibt hoch. Der Ausbau erneuerbarer Energien stockt und ist vornehmlich auf Investitionen im Ausland zurückzuführen.»

 

Während hierzulande also weiter die Schuld «den anderen» gegeben wird, macht Österreich vorwärts. Rund eine Milliarde Euro jährlich sollen in den Ausbau von Sonne, Wind und Co. investiert werden. Diese Milliarde zur Förderung der Erneuerbaren stammt aus Ökostrombeiträgen sämtlicher Stromkundinnen. Dabei hat die SPÖ einen Kostendeckel durchgesetzt: Der Ökostrombeitrag für armutsgefährdete Haushalte darf maximal 75 Euro pro Jahr betragen. Das betrifft immerhin 1,2 Millionen Haushalte in Österreich. 

 

Eine gewichtige Rolle in dieser ambitionierten Energiewende sollen Energiegemeinschaften spielen. Man will den Umbau nicht den grossen Konzernen allein überlassen, sondern setzt auf vermehrte Dezentralisierung: Zusammenschlüsse von privaten Produzentinnen und Nutzern, die lokal produzierte Energie gemeinsam nutzen. Dabei können nicht nur mehrere Haushalte gemeinsam eine Solaranlage finanzieren und nutzen, es ist auch möglich, dass Teilnehmer aus unterschiedlichen Bundesländern irgendwo in Österreich eine Anlage finanzieren, nutzen oder die Überschüsse verkaufen. 

 

Mit diesem Modell können also auch Private, Start-ups und Klimaschutz-Interessierte ins Stromgeschäft einsteigen. Jedenfalls ist in Österreich mit der Verabschiedung des EAG echte Aufbruchstimmung zu spüren. Wie hohl klingen da die Worte des Axpo-Chefs, der es sich bei der Ursachenfindung für das mangelnde Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien etwas gar einfach macht. Schuld sind immer die andern, insbesondere die Umweltschützerinnen. «Was ist schlimmer», fragt er rhetorisch,  «der Klimawandel oder ein neuer Stausee?»

Christa Dettwiler