Solarstrom von der Autobahn

Bild: Nick Fewings auf Unsplash
Bild: Nick Fewings auf Unsplash

Regen am höchsten Punkt Grönlands. So what? Mögen Sie sagen. Eine Randerscheinung im Vergleich zu den Schlagzeilen, die das Wetter heuer produziert hat. Was soll mich das bisschen Regen in Grönland interessieren? Nun ja, seit das Wetter auf dem Top of Greenland oben aufgezeichnet wird, hat es dort bislang noch nie geregnet. Wenn auf dem Eisschild hoch oben etwas vom Himmel fällt, ist es für gewöhnlich Schnee. Seit 2000 sind die Temperaturen jedoch schon drei Mal über den Gefrierpunkt geklettert. Eben auch am 14. August 2021, als es zu regnen begann.

Es geht alles so unendlich zaudernd und zögerlich. Vollmundigen Bekenntnissen folgen einfach keine Taten. Das zeigt das Verhalten der Schweizer Energieversorgerinnen beispielhaft. Die erwähnten fünf Prozent Solarstrom sind im Netz, und deshalb wäre es ein Leichtes für die Anbieter, den Anteil an Sonnenstrom im Standardprodukt mindestens so weit anzuheben. 

 

David Stickelberger, Geschäftsleiter des Dachverbandes Swissolar meint denn auch: «Die Energieversorger sollten ihren Käufern von Standardprodukten mindestens so viel Solarstrom verkaufen, wie ohnehin im Netz ist.» Das würde die Zahl der Abnehmerinnen auf einen Schlag erhöhen, denn die meisten Stromkunden bemühen sich nicht darum, unter den verschiedenen Angeboten zu wählen, sondern lassen sich den Standard ins Haus liefern. Mit einer simplen Anpassung könnten die über 600 Stromlieferanten also Wesentliches zur Energiewende beitragen. Etwas, das über werbewirksame Bekenntnisse hinausgeht und einen echten Unterschied machen würde. 

 

Wie unser Land die Solarstromproduktion auf neue Ebenen heben und sich unabhängiger von Auslandslieferungen machen könnte, zeigt die Idee des jungen Schweizer Unternehmens Energypier: Ganze Autobahnabschnitte sollen mit Solarpanels überdacht werden, die mit kleinen Windkraftanlagen ergänzt werden.

 

Zwei Projekte sind in Planung. Auf dem schnurgeraden 1,6 km Abschnitt der A9 bei Fully im Wallis sollen dereinst 47 000 Panels jährlich um die 20 Gigawattstunden Strom erzeugen. Auf drei Abschnitten der A4 im Zürcher Knonaueramt könnte auf insgesamt 2,5 km Strom für 20 000 Haushalte produziert werden. Billig ist das nicht. Aber lohnenswert allemal. Das findet auch der grüne Baselbieter Landrat Klaus Kirchmayr. Er hat Anfang September ein Postulat eingebracht, ein Solardach für die A 18 im Birstal zu prüfen.

 

Zwischen 30 und 40 Gigawatt sauberen Strom, genug für 8 000 bis 10 000 Haushalte könnte die Überdachung liefern. Kirchmayr meint, Nationalstrassen, die die Schweiz kreuzen und queren, seien nicht eben für ihre Ästhetik bekannt. Zudem würden gegen Sonnen- und Windkraftanlagen oft Einsprachen erhoben wegen Verschandelung der Landschaft. Wieso also nicht eine hässliche, bereits bestehende Infrastruktur mit einer neuen Technologie erweitern, die für das Land dringend notwendig ist? 

 

Solardächer über Autobahnen liefern nicht nur Strom, sie dämmen auch den Lärm, schützen die Strasse vor UV-Strahlung und Schnee, was den Einsatz von Streusalz und Räumfahrzeugen reduziert. Im Baselbiet, so ist Kirchmayr überzeugt, eignet sich der Abschnitt zwischen Reinach und Münchenstein ideal für ein solches Projekt. Gelänge es, nur 400 der insgesamt 2 200 km Nationalstrassen für die Stromproduktion zu nutzen, könnten mit dem sauberen Strom gleich alle einheimischen AKW ersetzt werden. 

 

Das Regionaljournal des Schweizer Radios nahm die Idee auf und berichtete über Kirchmayrs Vorstoss. Zu denken gaben der Journalistin allerdings die Kosten. So verwies sie auf das Walliser Projekt, das von der Astra bereits grünes Licht erhalten hat. Rund 50 Millionen Franken soll es kosten. Denn die Auflagen, die das Bundesamt für Strassen macht, sind hoch. So darf zu keiner Zeit der Verkehr gefährdet sein, die Sicherheitsanforderungen sind entsprechend. 

 

Deshalb fragte das Regionaljournal bei Solarspar Geschäftsleiter Markus Chrétien nach, was er denn von der Idee halte, hässliche Autobahnen unter Solardächern zu verbergen, die durch kleine Windturbinen ergänzt werden. Seine Meinung ist klar: Zwar handle es sich um riesige Investitionssummen, allerdings auch um riesige Strommengen, die produziert würden. Gerade im Baselbiet könne der Solarstrom zu günstigen Tarifen ins Netz gespeist werden. Eine Rentabilität nach 15 bis 20 Jahren sei also gegeben. «Mich überzeugt vor allem der Mix von Wind und Sonne. Denn der Wind weht sowohl bei schlechtem Wetter wie auch nachts. Das ist doppelt schön und ein Grund mehr, solche Projekte weiterzuverfolgen.»

 

Weiter sind die Deutschen. Unweit der Schweizer Grenze in Deutschland soll demnächst eine Solardach-Testanlage bei der A81-Raststätte Hegau-Ost gebaut werden. Sie ist Teil der gemeinsamen Strassenbauforschung von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Da auch das Astra daran beteiligt ist, liegt es auf der Hand, dass die Resultate dieser Anlage die Schweizer Pläne entscheidend beeinflussen werden.

 

Mit solchen Anlagen könnten die Schweizer Energieversorger ihren Standardmix problemlos mit einem weit höheren Anteil an sauberem Strom veredeln und damit wesentlich zur Energiewende in der Schweiz beitragen. Bislang bleiben sie lieber auf ihrem treibhausgasfreien Strom sitzen, anstatt ihn ganz einfach ins Standardprodukt zu integrieren.

Christa Dettwiler