Es brodelt in der Energiepolitik. Explodierende Preise, Stromlücke, Erneuerbare vs. Atomkraft, Staatsdoktrin vs. Gemeindeautonomie ... Es ist ein Ringen um Richtungsentscheidungen und um die Deutungshoheit. Die zuständige Bundesrätin versucht, Pflöcke einzuschlagen, andere wollen sie ihr entreissen. Letzte Woche verabschiedete der Bundesrat eine Vernehmlassungsvorlage, die den Erneuerbaren mehr Schub verleihen soll. Hysterische Aufschreie garantiert.
Der Bundesrat will künftig auf eine Baubewilligungspflicht für Solaranlagen an Fassaden verzichten, so wie das für Dachanlagen gilt. Zudem sollen Investitionen in Sonnenkraftwerke auch bei Neubauten von den Steuern abgezogen werden können. Das hat den Aufschrei nicht ausgelöst. Es geht um die gestrafften Bewilligungsverfahren, die den Ausbau von grossen Wind- und Wasserkraftwerken beschleunigen sollen. Neu soll ein «überwiegendes nationales Interesse» verhindern, dass sich Bewilligungsverfahren weiterhin bis zu 20 Jahre dahinschleppen. Und genau das stösst nicht allenthalben auf Gegenliebe.
Simonetta Sommaruga schlägt vor, dass die kantonalen Genehmigungsverfahren neu nicht nur die Baubewilligung umfassen, sondern gleich sämtliche anderen Bewilligungen – etwa notwendige Waldrodungen für Windparks oder Gewässerschutzauflagen bei Stauseen. Aktuell können Gegnerinnen eines Projekts jeden Bewilligungsschritt bis zum Bundesgericht anfechten. Und das kostet enorm viel Zeit. Beispiel Windpark Sainte-Croix im Waadtländer Jura: Nach 25 Jahren Gefecht soll er endlich nächstes Jahr den Betrieb aufnehmen.
Die Entscheidungshoheit soll neu also bei den Kantonen liegen. Elias Meier, Präsident des Verbands «Freie Landschaft Schweiz» ist empört. Gegenüber dem Tages-Anzeiger nennt er das neue Bewilligungsverfahren «dicke Post» und doppelt nach: «Wir bestehen darauf, dass die Gemeinden Bewilligungsbehörden bleiben.» Auch SVP-Ständerat Hannes Germann, Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands, verschafft sich im selben Medium Luft: «Schlicht nicht akzeptabel», lautet sein Fazit.
Damit vertritt Germann ganz offensichtlich die Parteidoktrin, denn die SVP gibt sich alle Mühe, die Deutungshoheit in der Energiepolitik zu erobern. Die Partei liess an Sommarugas dezidiertem Vorgehen kein gutes Haar. «Alle paar Tage lässt sie in den Medien einen Verzweiflungsballon mit neuen Verboten und Vorschriften steigen, um nicht in aller Schonungslosigkeit aufzeigen zu müssen, wie ernst die Lage ist.» Die Lage ist derart ernst, dass die Partei nicht etwa bessere Vorschläge macht, sondern sich lieber an einem runden Tisch versammeln will, um zu reden, reden, reden.
Allerdings scheinen sich nicht alle von der SVP in ihrer Mitteilung zitierten Flügelmänner mit an runden Tisch setzen zu wollen. Der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, Swissmem, wusste nicht einmal, dass er in der SVP-Medienmitteilung als Tischgeselle genannt worden war. Dafür habe sich die Partei nun entschuldigt. Grund für die Absage ist ein äusserst schief stehender runder Tisch à la SVP. Nur Wirtschafts- und bürgerliche Parteivertreter sind eingeladen. Zudem goutiere Swissmem die Verbalattacken auf die Energieministerin in keinster Weise.
Sauer aufgestossen sind der Verhindererpartei sicher auch die vorsichtig positiven Reaktionen der grossen Umweltverbände zu den bundesrätlichen Vorstössen. Denn allzu oft haben sie sich bei Wind- oder Wasserkraftprojekten als Bremser – wenn auch aus diametral entgegengesetzten Gründen – mit der SVP in ein Boot gesetzt.
Während die SVP gegen «Aktivismus und Pflästerlipolitik» lästert und die Energiestrategie 2050 kurzerhand als gescheitert erklärt und eine «schonungslose Lageanalyse» fordert, meint SP-Fraktionschef Roger Nordmann gelassen: «Die SVP ist in Panik, weil Frau Sommaruga Pflöcke einschlägt.» Die SVP, so scheint’s, versucht alles, diese Pflöcke auszureissen und daraus einen runden Tisch zu basteln.
Christa Dettwiler