Endlager ohne Ende

Bild: Jakob Madsen I Unsplash
Bild: Jakob Madsen I Unsplash

Die Würfel sind also gefallen. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat ein stilles Örtchen gefunden, wo sie den Schweizer Atommüll für einen unvorstellbar langen Zeitraum bombensicher verbuddeln will. Die Würfel sind auf ein Gebiet nahe der deutschen Grenze gefallen. Nördlich Lägern klingt nach irgendwo im Nirgendwo. Doch auch dort gibt’s viel Natur, leben viele Menschen, und die fragen sich: «Warum hier?».

Schon 2015 nämlich sortierte die Nagra den potenziellen Endlager-Standort Nördlich Längern als ungeeignet aus ihrer Suche aus. Haben wir da wieder ein wunderbares Beispiel von «was kümmert mich mein Geschwätz von gestern»? 

 

Fragen wir am besten beim ehemaligen Solarspar-Vorstandsmitglied Heini Glauser nach. Der Energieingenieur kennt die Geschichte der Atomkraft in der Schweiz wie kaum ein Zweiter. Sein Fazit: «Die aktuelle Standortdeklaration der Nagra ist in erster Linie ein politischer Akt.»

 

Auch Marcos Buser, Geologe und ehemaliges Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS), ist ein fundierter Kenner der Schweizer Atomhistorie. Er meint: «Der Entscheidungsprozess ist völlig intransparent.»

 

Beide Experten sind überzeugt, dass es bei der Wahl von Nördlich Lägern nicht primär um Sicherheit geht, sondern um politische Opportunität. Auf Druck der Kantone, mutmasst Buser, sei der Entscheid zustande gekommen. «Die Nagra hat gemerkt, dass es ihnen Vorteile bringt, wenn sie dem folgen, was die Kantone sagen. So ist wenigstens ein Standort vorhanden und die Rahmenbewilligung kann eingereicht werden.» Von diesem Entscheid, mutmasst der Fachmann weiter, erhoffe man sich letztlich auch eine Verlängerung der Laufzeiten.

 

Nicht nur der Standort, auch der Zeitpunkt der Endlagerwahl hat viele überrascht. Ausgerechnet jetzt, wo das AKW-Neubauverbot per Initiative ausgehebelt werden soll, wo diverse bürgerliche Politikerinnen und Unternehmer aus «Klimaschutzgründen» den Ausbau der Atomkraft herbeiwünschen. Ein gewichtiges Argument dagegen: fehlendes Endlager. Mit dem Entscheid für Nördlich Lägern wäre nun dieses Argument vom Tisch.

 

50 Jahre nach ihrer Gründung hat die Nagra also gesprochen. Bis der erste Brennstab vergraben wird, dürfte es wohl noch einmal so lange dauern. Denn der Bau eines solchen Lagers ist unglaublich kompliziert. Die Nagra selbst plant, das Endlager nach einer Einlagerungsphase von 15 und einer Beobachtungsphase von 50 Jahren ungefähr anno 2125 verschliessen zu können. Der Baubeginn steht zudem noch in den Sternen, denn der Standortentscheid wird wohl letztlich vom Volk entschieden werden. Und das dauert.

 

Auch Atommüll dauert. Brennstäbe gefährden die Umwelt für Hunderttausende Jahre. Ein Zeithorizont, der die menschliche Vorstellungskraft weit überschreitet. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI verlangt die sichere Verwahrung sogar für eine Million Jahre. Zum Vergleich: Die Geschichte der Menschheit reicht nach heutigem Wissensstand etwa 300’000 Jahre zurück. 

 

Wie die Erde, wie das Gebiet Nördlich Lägern, in einer Million Jahren aussehen wird, kann niemand verlässlich vorhersagen. Wohl sollen die Behälter in 500 Metern Tiefe in massiven Stahlbehältern eingelagert werden. Aber noch gibt es nicht einmal Erfahrungswerte, wie lange die Behälter überhaupt dichthalten werden. Marcos Buser macht sich keine Illusionen: «Meine Erfahrungen mit Deponien lehren mich, dass kein Fass für immer hält. Spätestens in 10’000 Jahren, aber ich schätze deutlich früher, werden auch die radioaktiven Stoffe wieder an die Umgebung abgegeben.»

 

Fakt ist: Weltweit gibt es noch kein einziges Tiefenlager für hochaktive Atomabfälle. Marcos Buser plädiert auf Zuwarten, weil sich die Technik weiterentwickeln wird und sich neue Möglichkeiten auftun werden, «die radioaktiven Abfälle und ihre Energie weiter zu nutzen oder anders zu behandeln und zu verfestigen».

 

Der Nachhaltigkeitsforscher Rony Emmenegger von der Universität Basel zieht sogar den Umgang mit der Klimakrise als Lernmöglichkeit heran. Man könne daraus lernen, «wenn die Frage künftig nicht mehr lautet, wie einem Problem technisch zu begegnen ist, sondern welche Ursachen ihm zugrunde liegen».

Christa Dettwiler