In einem Artikel für das Magazin «Energie+Umwelt» der Schweizerischen Energie-Stiftung SES warf der ausgewiesene Umweltjournalist Marcel Hänggi, Mit-Initiant der Gletscher-Initiative, einen scharfen Blick auf das «weniger» beim Energieverbrauch. In der Zusammenfassung des vierten Sachstandsberichts des Weltklimarates zählte er 2007 mit: «Das Wort ‹weniger› fand ich 5-mal, das Wort ‹mehr› hingegen 29-mal. Es scheint eine Hemmung zu geben, das Wort ‹weniger› auszusprechen.»
In seinem Artikel schreibt er vom Widerstand in der Politik, das Thema Suffizienz überhaupt in den Mund zu nehmen. «Als der Bund die Energieperspektiven 2050+ erarbeitete, auf denen auch die langfristige Klimastrategie des Bundesrats beruht, lautete die Vorgabe explizit, keine Massnahmen zur Suffizienz, also zum Einschränken des Energiekonsums, zu berücksichtigen.» Aktuell jedoch scheint diese Hemmung abgelegt worden zu sein. Allenthalben wird zum «weniger» aufgerufen, auch wenn diese Sparappelle ans Volk doch alle etwas hilflos anmuten.
Marcel Hänggi hat auch im jüngsten IPCC-Sachstandsbericht nachgezählt: «In der Zusammenfassung kommt das Wort ‹weniger› 25-mal, ‹keine› 36-mal, ‹mehr› 48-mal – und neu ‹Suffizienz› immerhin 3-mal vor.»
Weniger klingt nach Verzicht, nach Mangel. Das Wort bewirkt sofort Widerstand, ausser, wenn es im Zusammenhang mit Sorgen genannt wird. Das wohlgemeinte Sprüchlein «weniger ist mehr» scheint einfach nicht zu verfangen. Der US-amerikanische Ökonom und Bestsellerautor Jeremy Rifkin setzt statt auf Suffizienz deshalb auf Resilienz. In seinem neuen Buch zeigt er auf, dass nur eine vollständige Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft die Welt aus der Krise des Systems Erde herausführen kann.
Während Suffizienz grob übersetzt Genügsamkeit bedeutet, im Zusammenhang mit Energie und Natur also das Bemühen um einen möglichst geringen Verbrauch meint, geht es bei der Resilienz um Anpassungsfähigkeit, darum, sein Verhalten Problemen und Veränderungen anzupassen. Die Veränderung des Weltklimas mit entsprechend verheerenden Auswirkungen ist Tatsache. Mensch muss sich also entsprechend darauf einstellen. So gesehen, geht es künftig nur mit Suffizienz und Resilienz weiter.
Rifkin zeigt auf, dass mensch die Rechnung ohne die Entropie gemacht hat. Man hat die Folgen einer unbeschränkten Fossilisierung der Wirtschaft schlicht nicht wahrgenommen. Und jetzt präsentiert uns der Planet die Rechnung für diese Verwegenheit. Rifkin hat es nicht so mit gut gemeinten Sparappellen und hier ein Pflästerli und dort ein Sälbeli. Er ist überzeugt, die «verwildernde Erde» brauche eine vollständige Neuausrichtung, einen «Wechsel von Effizienz zu Anpassungsfähigkeit, Fortschritt zu Resilienz, Produktivität zu Erneuerbarkeit, externen Effekten zu Kreislaufwirtschaft, Eigentum zu Zugang und Bruttoinlandsprodukt zu Lebensqualität».
Der Autor erklärt, warum die Problematik der Treibhausgase lange gar nicht wahrgenommen, dann einfach ignoriert wurde. Und warum der Klimawandel derart eskaliert ist. Er kommt zum Schluss, dass die Wirtschaftswissenschaft die Rechnung ganz einfach ohne die Entropie gemacht hat, ohne die Grundsätze der Thermodynamik. Dabei sind die Aussagen bestechend einfach: Energie wird nicht verbraucht. Sie bleibt erhalten, aber sie wird «unordentlicher». Werden zum Beispiel fossile Stoffe verbrannt, ist eines der «Abfallprodukte» Treibhausgase.
Jeremy Rifkin plädiert für nicht weniger als einen totalen Neubeginn: «Das Zeitalter des Fortschritts ist zu Ende und das Zeitalter der Resilienz bricht an. Alles, was wir zu wissen meinten, was wir glaubten und auf das wir uns verlassen haben, gilt nicht mehr. Wir stehen am Beginn einer neuen Reise, auf der wir neu über unsere Spezies und ihren Platz auf der Erde nachdenken müssen und die Natur unsere Schule ist.»
Klingt schon irgendwie nach «weniger». Aber eben, in diesem Fall ist weniger tatsächlich mehr, viel mehr.
Christa Dettwiler