Wenn zwei das Gleiche tun ...

Bild: Jonas Zürcher I Unsplash
Bild: Jonas Zürcher I Unsplash

Das Parlament drückt weiterhin aufs Tempo. Die Erneuerbaren Energien besetzen einen Spitzenplatz bei den Diskussionen und Entscheiden, die National- und Ständerat in der Frühjahrssession beschäftigen werden. Wind- und Sonnenkraftanlagen soll neu ein «nationales Interesse» zugestanden werden, wenn es nach der Umweltkommission geht. Das heisst, allerlei Hürden für eine Bewilligung würden damit aus dem Feld geräumt. Geschützten Biotope oder Vogelreservaten etwa würde der Schutz ganz entzogen. Das ist, gelinde gesagt, umstritten. Gar nicht umstritten ist der Vorschlag, dass nicht nur Neubauten, sondern auch bestehende Gebäude mit einer Fläche von mindestens 300m2 einer Solarpflicht unterstellt werden. Grosse Parkplätze müssten bis 2035 mit Solarpanels überdacht werden.

Das grosse Kopfschütteln, als in der Herbstsession die Solarpflicht für Gebäude mit mehr als 300m2 Fläche explizit ausgeschlossen werden sollte, ist damit immerhin beendet. Das Stirnrunzeln ob dem «nationalen Interesse» hingegen bleibt. Wer bestimmt das nationale Interesse? Und was ist das überhaupt? Dass es nach Jahrzehnten der Verschleppung, des auf die Bremse Tretens, des Abwiegelns und Zauderns bei den Erneuerbaren nun plötzlich im Eilzugstempo vorwärtsgehen soll, hat einzig mit der befürchteten Strommangellage des zu Ende gehenden Winters zu tun. Eines Winters, der dann doch nicht so richtig stattgefunden hat. Das Tempo wurde befeuert von Ängsten vor verknappten Energielieferungen aus dem Osten, vor explodierenden Energiepreisen, mithin vor allem von wirtschaftlichen Überlegungen.

 

Die Klimakrise, die dürfte bei den meisten bürgerlichen Parlamentariern und Parlamentarierinnen die geringste Rolle gespielt haben. Oder wenn doch, dann haben sie sie schlicht nicht verstanden. Die Klimakrise ist keine Energiekrise. Sie geht weit über das Thema der Art und Weise, wie wir uns mit Energie versorgen, hinaus. Die Klimaveränderung beeinflusst sämtliche Lebensbereiche auf diesem vergleichsweise winzigen Planeten Erde. Und sie ist nicht damit zu lösen, dass die Energieversorgung einfach auf andere Quellen umgestellt wird. Oder, noch schlimmer, dass die neuen Energieträger einfach auf die herkömmlichen aufgebockt werden. Es ist zu befürchten, dass genau dieser Pfad eingeschlagen wird, wenn vorwiegend ökonomisches Denken das Parlament beherrscht. 

 

Die Welt steckt auch mitten in einer Biodiversitätskrise. Erschreckend viele Arten von Lebewesen verschwinden lautlos von dieser Erde, ganz einfach, weil die dominante Spezies ihre Lebensräume für sich beansprucht, sie vergiftet, rodet oder anderweitig besetzt. Aus vorwiegend ökonomischen Gründen. Deshalb ist es grundfalsch, wegen einer Krise eine andere noch zu verschlimmern. Vor allem, ohne wirkliche Not. Das Parlament täte gut daran, aus seinem plötzlichen erneuerbare Energierausch aufzuwachen und mit dem klaren Denken zu beginnen. 

 

So schlägt etwa Pro Natura vor, dass die Bewilligungsverfahren nach wie  vor dem Bundesgericht unterstellt bleiben. Denn neu sollen Einsprachen von einer kantonalen Instanz abschliessend beurteilt werden können. Für Pro Natura Präsidentin Ursula Schneider-Schüttel, selbst Mitglied des Nationalrats, ist klar: «Das Bundesgericht sorgt für eine einheitliche Rechtsprechung in der ganzen Schweiz. Für grosse Projekte finde ich dies nötig.» Man könne durchaus auch über eine nationale Stelle für Umweltverträglichkeitsprüfungen reden, meint sie, denn das würde viel Zeit sparen. 

 

Ein interessanter Vorschlag kommt vom Mitbegründer des Labels Minergie, Ruedi Kriesi. Die IG Solalpine hat ein neues Label  geschaffen, das den Trägern zu erleichterten Verfahren verhelfen soll. Solapine soll sich als Standard für gute Solaranlagen in den Bergen etablieren. Vizepräsident ist der Jurist und langjährige Geschäftsführer der Elektrizitätskommission Elcom, Renato Tami. Auch er findet klare Worte: «Geschützte und unberührte Landschaften sind für Fotovoltaikanlagen tabu.» Nicht nur der Landschaftsschutz ist wichtig, auch auf die Nachhaltigkeit der Materialien werde geschaut und der Rückbau der Anlage nach Ablauf ihrer Dienstzeit müsse ebenfalls am Anfang schon geplant werden. Ein wichtiger Aspekt ist für die Schaffer des Labels auch der Einbezug der lokalen Bevölkerung, die sich nicht nur am Betrieb beteiligen, sondern auch den Strom lokal verbrauchen soll. Eine Entschädigung der Grundeigentümerinnen ist ebenfalls vorgesehen: einen Rappen pro produzierte Kilowattstunde. 

 

Umweltorganisationen jedenfalls begrüssen das neue Label, denn aus ihrer Sicht hat die Politik auf der ganzen Linie versagt. Das Bundesamt für Energie wird demnächst bekannt geben, wie die Subventionspolitik aussehen wird. Dutzende Projekte sind bereits in der Pipeline, die nur auf den Geldsegen aus Bern warten, um zu starten. Wie viele sich um das Gütesiegel bemühen werden, ist unklar. Grengiols und Gondosolar werden kaum darunter sein, denn sie erfüllen die Kriterien bei weitem nicht. 

 

Das Wettrennen um die Bundessubventionen für erneuerbare Energien wird – so sieht es im Moment zumindest aus – vor einem durchaus kritischen Publikum stattfinden. Und sollten die politischen Mehrheiten geneigt sein, Projekte aus rein ökonomischen Gründen durchzuwinken und etablierte demokratische Prozesse auszuhebeln, wird ihnen dieses Publikum die Knöpfe schon wieder eintun.  Eigentlich ist es an Absurdität fast nicht zu überbieten, dass Umwelt- und Naturschutzorganisationen, die seit Jahrzehnten auf einen Ausbau der fossilfreien Energieträger hinarbeiten, das mehrheitlich bürgerliche Parlament in seiner Solareuphorie bremsen muss. Aber eben: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch längst nicht dasselbe.

Christa Dettwiler