Es het solangs het

Bild: Hurrikan I Depositphotos
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Sie sind so etwas wie die modernen Rufer in der Wüste, die Fachleute des Weltklimarats. Unverdrossen publizieren sie regelmässig die neusten Zahlen, Fakten und Erkenntnisse zur Klimaveränderung. Sie warnen, mahnen und raten. IPCC-Chef Hoesung Lee etwa sagt zum neusten Bericht, der letzte Woche publiziert wurde: «Wenn wir nun wirklich handeln, ist eine nachhaltige Zukunft für alle immer noch möglich.» Jaha. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Gehandelt wird, das schon, aber das Handeln gleicht eher einem Schacher darum, fossile Energiequellen bis zu ihrem endgültigen Versiegen auszubeuten.

Die Fakten im neuen Bericht sprechen eine eindeutige Sprache: Die Erdoberfläche hat sich seit 1900 um ca. 1,1 Prozent erwärmt, das Land mehr als die Ozeane. In der Schweiz etwa ist es durchschnittlich mehr als zwei Grad wärmer geworden. Die Erwärmung hat hauptsächlich in den letzten 20 Jahren stattgefunden. In einer Zeitspanne notabene, in der das Phänomen Klimawandel bereits hinlänglich bekannt war.

 

Der Treibhausgasausstoss, der die Erde daran hindert, Wärme wieder ins Weltall abzustrahlen, steigt nach wie vor. Andreas Fischlin, ETH-Klimaforscher und IPCC-Vize sagt letzte Woche zum Tages-Anzeiger: «2020 sanken die CO2-Emissionen wegen Corona, und nun steigen sie wieder deutlich an. Zwar ist der jährliche Zuwachs geringer als zu Beginn des Jahrhunderts, aber es ist eine Zu- und nicht die erforderliche Abnahme.»

 

Die Auswirkungen der Erderwärmung sind allenthalben zu spüren. Aussergewöhnliches Wetter wird zur Gewohnheit, Wetterextreme werden immer extremer. Der Meeresspiegel ist zwischen 1901 und 2018 um 20 Zentimeter gestiegen. Für die besonders stark betroffenen Weltgegenden bedeutet das nichts Gutes. Andreas Fischlin weiter: «Die Schäden durch häufigere Extremereignisse wie Hitzewellen oder Hochwasser schwächen diese Länder so stark, dass früher oder später die wirtschaftliche Entwicklung verunmöglicht wird.»

 

Was zu tun ist oder vielmehr wäre, ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Genauso bekannt wie der Widerstand dagegen. Die Welt muss die Sucht nach Fossilem überwinden. Nur ist es so eine Sache mit der Sucht. Sie findet stets neue Argumente, Ausreden, Zurechtbiegungen, warum man doch noch die nächste Zigarette anzünden, ein weiteres Reiheli Schoggi einschieben darf, soll, ja muss. 

 

Die Schlussfolgerungen des Berichts lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Jede Weltregion spürt bereits «grossflächige negative Auswirkungen». Rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist «sehr anfällig» für die Folgen des Klimawandels. Es bleibt nur ein «schmales Zeitfenster», um eine lebenswerte Zukunft sicherzustellen. Der UNO-Generalsekretär António Guterres, um deutliche Worte nie verlegen, nannte den Bericht «ein Leitfaden, um die Klima-Zeitbombe zu entschärfen». 

 

Netto-Null bis 2050. So viel ist klar. Aber so viel war auch schon letztes Jahr klar, und im Jahr zuvor und ...
Der IPCC-Bericht hat sogar eine lange Liste erstellt, wie die Energieversorgung klimaneutral und der Verkehr elektrifiziert werden können. Dieser Bericht dient im Übrigen der Vorbereitung des nächsten Klimagipfels, Cop28, der Ende des Jahres in den Vereinten Arabischen Emiraten seine Zelte aufschlagen wird. Als Gastgeber und Cop28 Präsident fungiert Sultan Al Jaber, im richtigen Leben CEO der Abu Dhabi National Oil Company. Möglicherweise wird er dort mit dem Schweizer Energieminister und früherem Öllobbyisten Albert Rösti  Erfahrungen austauschen können. 

 

Auch der aktuelle IPCC-Bericht stellt klar, dass  es auf jeden Bruchteil eines Grades ankommt, wenn es um die Erderwärmung geht. In der Kurzfassung steht zu lesen: «Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und Massnahmen werden sich auf Jahrtausende hinaus auswirken.» Es ist zu befürchten, dass auch diese Warnung die Süchtigen nicht davon abhalten wird, sich doch noch eine ihrer Drogen zu gönnen. Und jene, die über den heiss begehrten Stoff verfügen, zeigen sich wenig geneigt, in absehbarer Zeit auf die sprudelnden Einnahmequellen zu verzichten. Es het halt solangs het.

Christa Dettwiler