Eigentlich sollten sie sinken, und zwar rasch und dramatisch. Dennoch steigen sie weitert, die Treibhausgas-Emissionen. Die Schweiz hatte sich zum Ziel gesetzt, den Ausstoss von klimagefährdenden Gasen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Daraus ist nichts geworden. Nun sollen die Emissionen bis 2030 halbiert, bis 2050 auf netto null gesenkt werden. Die Frage ist nur: Glaubt da noch jemand daran?
Laut neusten Zahlen des Bundes ist der Treibhausgas-Ausstoss der Nation 2021 um knapp drei Prozent angestiegen. Keine Rede also von Absenkung. Patrick Hofstetter vom WWF ist enttäuscht: «Auch mit einem Jahr Zusatzanstrengung haben wir 2021 also das Ziel des Jahres 2020 nicht erreicht.» Gut, der Winter war kalt, das ist schon an sich aussergewöhnlich. Allerdings waren im Sog der Corona-Pandemie auch weniger Menschen und Güter unterwegs. Dennoch stiegen die Treibhausgase an. Die EU hat übrigens ihre für 2020 gesteckten Klimaziele erreicht. Es ist also nicht so, dass es generell nicht möglich wäre.
Insbesondere der Verkehr hinkt hinter den Zielvorgaben her. Damit die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird, müssten die Emissionen laut WWF ab sofort jedes Jahr um drei Prozent sinken. Dafür seien alle technischen Voraussetzungen vorhanden. Allerdings fehle es ganz klar an der entsprechenden Gesetzgebung. Hofstetter: «Die Rahmenbedingungen und Gesetze sind immer noch gemacht für fossile Energieträger. Sie müssen jetzt für klimaverträgliche Technologien geändert werden.»
Dazu gibt's eine einmalige Gelegenheit am 18. Juni, dann wird an der Urne über den indirekten Gegenvorschlag zur Glescher-Initiative entschieden. Es ist jetzt schon abzusehen, dass sich der Abstimmungskampf auf die Energiepolitik insgesamt zuspitzen wird. Bereits mobilisiert die SVP gegen das «Stromfressergesetz». Dabei geht es im Grunde um ganz anderes, nämlich vor allem darum, jetzt endlich die rasche Absenkung der Treibhausgas-Emissionen anzugehen, um das Netto-Null-Ziel tatsächlich bis 2050 zu erreichen – oder ihm immerhin möglichst nahe kommen.
Die SVP hat natürlich gemerkt, dass viele Menschen Energie mit Strom gleichsetzen und vergessen, woher ein Grossteil dieser Energie kommt und wie viel Geld dafür an meist nicht so ganz demokratische Regimes ausbezahlt werden. Marcel Hänggi, Initiator der Gletscher-Initiative, drückt es gegenüber der WOZ so aus: «Die Energiewende steigert den Strombedarf, aber senkt den Gesamtenergiebedarf. Und sie steigert die Selbstversorgung mit Energie massiv.» Im Nachsatz erinnert er daran, dass jene, die jetzt beim Strom plötzlich autark sein wollen, nie ein Problem mit Öl- und Gasimporten hatten.
Tatsächlich hat die Nation ab diesem Montag die einheimischen Ressourcen bereits verballert und lebt von nun ab auf Pump. Das hat die Schweizerische Energie-Stiftung ausgerechnet. Das heisst, das Land ist bis Ende Jahr auf Gedeih und Verderb von importierten Energieträgern abhängig, vorwiegend von Öl, Gas oder auch Uran. Mehr als 70 Prozent der Energie kauft die Schweiz im Ausland ein, das kostet sie einen schönen Batzen – rund acht Milliarden Franken jährlich. Eine Zahl, die geflissentlich ignoriert wird, wenn im Parlament über die ach so teure erneuerbare Energie debattiert wird.
Kein Uran mehr braucht Deutschland dagegen. Das Land ist tatsächlich ausgestiegen und hat damit den Traum zahlloser AKW-Gegnerinnen der ersten Stunde erfüllt. Auch wenn die mittlerweile alt und grau geworden sind, haben sie kräftig gefeiert, als am letzten Samstagabend die drei letzten AKW in Deutschland abgeschaltet wurden. Sie mussten jedoch bis um Mitternacht warten, weil der Meiler Neckarswestheim die Frist bis zur letzten Sekunde nutzte, um Kerne zu spalten, und erst um 23.59 den Stecker zog. Mit dem Abschalten ist es allerdings nicht getan. Nun beginnt der Abriss und der birgt wieder ganz neue Gefahren und Risiken in sich und wird etliche Milliarden verschlingen. Und dann wäre da noch diese lästige Kleinigkeit mit dem Restmüll. Da weiss man einfach nicht so recht, wohin damit.
Jene, die auch in der Schweiz der Atomkraft zu neuem Strahlen verhelfen wollen, greifen dafür zu einer allseits beliebten und in der Energiepolitik häufig gehörten Phrase: Dafür werden wir schon eine Lösung finden.
Christa Dettwiler