«Klimafreundlich» hat ausgedient

Käse
Bild: fukayamamo I Unsplash

Wie klimaneutral ist Salatsauce? Käse? Ein AKW? Aktuell ist die Diskussion um die Auszeichnung «klimaneutral» in vollem Gange. Die Kritik wurde derart laut, dass jene Organisationen, die das Label vergeben, sie nun entweder abschaffen oder anpassen. Am Beispiel Tilsiter zeigte der Tages-Anzeiger auf, wie Greenwashing ganz einfach funktioniert.

Tilsiter versprach grossmundig klimaaneutralen Käse. Manch eine Konsumentin fragte sich wohl, ob dazu das Methan direkt von den Kühen abgesaugt wird, bevor die Milch zu Käse verarbeitet wird. Denn die breit angelegte Werbekampagne fürs «Geniessen mit guten Gewissen», versprach implizit genau das. Nur wer auch das Kleingedruckte las, entdeckte die Einschränkung: «CO2-neutral produziert» hiess es da ganz diskret. Im Klartext heisst das, die Emissionen, die vor der Käseherstellung entstanden, wurden gar nicht erst berücksichtigt. Lene Petersen vom WWF fand das mehr als irritierend: «Dieser Claim ist irreführend. Er verspricht Leuten ein gutes Gewissen beim Käseessen, ohne dass sich etwas Grundlegendes ändert in der Milchwirtschaft.» Dabei ist klar, dass die Klimabilanz von Käse zu mehr als 90 Prozent von der Milchproduktion bestimmt wird. Im Übrigen stellte sich auch noch heraus, dass von den 21 Käsereien, die diese Sorte herstellen, nur gerade eine einzige das «CO2-neutral» Label führen dürfte. 

 

Derartige Tricksereien fallen unter ein ganz anderes Label, nämlich «Greenwashing». Jetzt ist das Grünwaschen allerdings doch zu bunt geworden, und das Label wird gleich ganz abgeschafft. Etwa bei Climate Partner in München. Sie berechnen den CO2-Ausstoss von Unternehmen und Produkten und vermittelt ihnen CO2-Zertifikate, mit denen diese sich vom Klima-Belasten freikaufen und ihre Produkte klimaneutral anbieten. Climate Partner haben das «Klimaneutral-Label» abgeschafft, um ein neues zu lancieren. Anstatt dank CO2-Kompensation gleich klimaneutral zu sein, sind Unternehmen neu nur noch «Climate Partner-zertifiziert». Zudem müssen sie sich zu verbindlichen Reduktionszielen und Massnahmen verpflichten. Vorher war das lediglich eine Empfehlung. 

 

Auch die Schweizer Stiftung Myclimate verabschiedet sich von ihrem klimaneutralen Label, auch das Wort «Kompensation» kommt nirgends mehr vor. Wer mit Swiss fliegt, kann seine Flugscham künftig nicht mehr mit einer Abgabe an Myclimate beruhigen, sondern fliegt statt «CO2-neutral» nur noch mit «reduzierten» Emissionen. 

 

Die Diskussionen und Anpassungen haben auch damit zu tun, dass etliche Kompensationsgeschäfte entweder zu billig erfolgten oder gar doppelt abgerechnet wurden. Zum einen liess sich das Unternehmen im Produktionsland seine CO2-Kompensation in einem anderen Land gutschreiben, was auch das Land tat, das vom ausländischen Klimaschutzprojekt profitierte. Auch damit soll Schluss sein. 

 

Nach und nach werden also etliche klimaneutralen Produkte aus den Regalen verschwinden. Der WWF fordert sogar, dass der ganze CO2-Kompensations-Freikauf aufgegeben wird. Denn erstens sei die Tonne CO2 viel zu billig und zweitens bringe es mehr, die Klimafolgekosten pro Tonne in Klimaschutzprojekte zu investieren. Dann kostet die Tonne CO2 nämlich anstatt zwischen 10 und 25 Franken um die 200. Anstatt Zertifikate zu finanzieren, sollten die Unternehmen «in ganzheitlich gedachte und grossräumige Projekte» investierten, «die eine nachhaltige Entwicklung fördern».

 

Nicht im Geringsten zufrieden sind Greenpeace, WWF und andere mit dem Entscheid des Europaparlaments, Erdgas und Atomkraft  Investoren und Banken als «klimaneutrale Investitionen» anzupreisen. Gegen diesen Entscheid ziehen die Umweltorganisationen nun vor Gericht. Im letzten Sommer hatte das Parlament die sogenannte Taxonomie vorgespurt, die Investitionen in grüne Technologien schmackhaft machen sollte. Nun stehen da neben Wind-, Sonne- und Wasserkraft auch plötzlich Gas und Atom auf der Liste, auf «Druck einiger Mitgliedstaaten», wie es so schön heisst. 

 

Vor Gericht werfen die Umweltorganisationen der EU-Kommission Greenwashing vor. Zudem verstosse die EU mit dieser Liste gegen ihre eigenen Klimaschutzgesetze. Die EU hat sich nämlich eben erst eine «Fit for 55»-Kur verpasst. Die Union will ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken und bis 2050 klimaneutral werden. Das «grösste Klimaschutzpaket aller Zeiten», wie es ein Abgeordneter nannte, sieht vor, den Emissionshandel zu reformieren, alle 60 km Ladestationen für Elektroautos einzurichten, keine Neuproduktion von Verbrennermotoren ab 2035 zuzulassen. Wie immer ist das neue Klimapaket vollgepackt mit Ausnahmen und Kompensationsmöglichkeiten und Abfederungen. Es ist so kompliziert, dass der Durchblick kaum möglich ist. 

 

So oder so, mit dem Hype um klimaneutrale Produkte und Dienstleistungen dürfte es erst einmal vorbei sein. Schliesslich sollte die Auszeichnung tatsächlich etwas mehr sein als ein trendiger Werbeslogan.

Christa Dettwiler