«Wir sind verdammte Idioten.» James Hansen meint damit die gesamte Menschheit. Sein harsches Urteil gilt vor allem ihrer Unfähigkeit oder ihrem Widerwillen, angesichts der Tatsache, dass die Welt sich auf ein extrem heisses Klima zubewegt, adäquat zu handeln. Es erstaunt nicht, dass James Hansen die Geduld ausgeht. Er warnte als erster im US-Senat vor den unabsehbaren Folgen eines sich erwärmenden Klimas. Das war vor 35 Jahren. Während Hansen dunkelschwarz malt, versucht eine Gruppe von Autorinnen, mit positiven Zukunftsvisionen Energie freizusetzen.
Hansen hat sich kürzlich gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftern zu Wort gemeldet. Er warnt davor, dass die Welt sich Richtung einer «neuen Klimagrenze» bewege, mit höheren Temperaturen als je in den letzten Million Jahren, mit stärkeren Stürmen, Hitzewellen und Dürren. «Und es wird noch viel schlimmer, wenn wir die Treibhausgase nicht reduzieren», sagte der 82-Jährige. «Die aktuellen Superstürme sind nur ein Vorgeschmack auf das, was auf meine Grosskinder zukommt. Wir steuern mit offenen Augen auf eine neue Wirklichkeit zu – denn wir wissen schon lange, was passieren wird.»
Der NASA-Klimawissenschaftler Hansen nimmt sich selbst und seine Kolleginnen von der Kritik nicht aus. Die rekordverdächtigen Hitzewellen der letzten Wochen hätten bei ihm Enttäuschung darüber ausgelöst, «dass wir Wissenschaftler nicht deutlicher kommuniziert haben, und dass wir nicht Leute gewählt haben, die zu einer intelligenteren Antwort fähig wären». Trotz der Hitzerekorde in diesem Jahr, ist Hansen überzeugt, werde 2023 als durchschnittliches oder gar mildes Jahr in die Geschichte eingehen.
Matthew Huber, Fachmann für Paleoklimatologie an der Purdue Universität, sagt mit Blick zurück in die Vergangenheit: «Wir drücken die globalen Temperaturen in Richtung Pliozän (ca. vor 5,3 bis 2,8 Mio. Jahren), was ausserhalb der menschlichen Erfahrung liegt. Damals wuchsen Buchen nahe dem Südpol und der Meeresspiegel lag rund 20 Meter höher. Das ist im Grunde ein Experiment an Menschen und Ökosystemen. Wir wissen nicht, wie sie reagieren werden. Nichts ist an so etwas gewöhnt.» Dennoch, sagt Huber, könnten wir nicht einfach aufgeben. «Wir müssen investieren, Veränderungen und Innovationen voranbringen. Wir können nicht einfach Milliarden von Menschen abschreiben.»
Das ist auch die Absicht der Autorinnen und Autoren, die eben den Bildband «Zukunftsbilder 2045» herausgebracht haben. Mit-Herausgeber Lino Zeddies will mithelfen, dass Menschen den vielen Negativszenarien positive Zukunftsvisionen entgegensetzen können, denn: «Wir brauchen diese positiven Geschichten, damit wir überhaupt Energie freisetzen und diese Kraft haben: Da will ich hin! Das will ich machen!»
Eine fiktive Journalistin führt durch 17 Städte, die beispielhaft für eine schönere, grünere, lebenswertere Welt stehen. Dazu gibt's fotorealistische Illustrationen. Der Bildband zeigt auf, wie die Welt in 22 Jahren eben auch aussehen könnte. Dabei sind die Szenarien keineswegs fiktiv. Sie wurden mit Kommunen, in Zusammenarbeit mit Bürgerinnen entwickelt und teilweise bereits umgesetzt. Da geht es um Permakultur, um Schwammstädte, ausgeloste Bürgerräte, Gemeinwohlökonomie, regenerative Baustoffe oder Verantwortungseigentum.
Diese visionären Reisen entführen in eine klimafreundliche und nachhaltige Welt, in der das volle Potenzial einer fortschrittlichen Gesellschaft Realität ist. Die aufwändig simulierten und reich bebilderten Panoramen zeigen wie 16 Städte in Deutschland, der Schweiz und Österreich in Zukunft aussehen könnten: grüne Begegnungsstätten, in denen Energiegewinnung, Verkehr und Ernährung eine Kreislaufwirtschaft bilden. Sie legen auf unterhaltsame Weise dar, wie die globalen Klimaziele 2045 erreicht worden sind.
Solche Mut machenden Zukunftsbilder sind ein Lichtblick in einer von Katastrophen beherrschten Gegenwart. So wird in Hamburg die Rückkehr zu einem natürlichen Kreislauf dargestellt, in München frische Luft in die City geblasen, in Zürich das Geld in den Dienst der Menschen gestellt und in Ludwigsburg die Biokratie eingeführt – die Demokratie für alle Lebewesen.
Nach der Lektüre der «Zukunftsbilder 2045» fühlen wir uns vielleicht etwas weniger als «verdammte Idioten» und wagen daran zu glauben, dass es uns doch noch gelingt, das breite Spektrum von inspirierenden Ideen auch tatsächlich umzusetzen.
Christa Dettwiler