Wahlen zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Wunsch: Mehr Bäume, mehr Velos, mehr Sonnenkraftwerke – alles Dinge, die  sich eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung wünscht. Das jedenfalls hat eine repräsentative Umfrage bei mehr als 2200 Personen aus Stadt, Land und Agglo ergeben.Bemerkenswert: Diese Anliegen werden laut Umfrage von links bis rechts unterstützt. Wirklichkeit: Die Wahlprognosen sind sich einig – die SVP wird abräumen, die Grünen Sitze verlieren.

Die Menschen wünschen sich Bäume statt Parkplätze, Velowege statt Autostrassen, mehr öffentlicher Verkehr und eine Solarpflicht für Neu- und Umbauten. Soweit die Umfrage. Um das Wirklichkeit werden zu lassen, braucht es eine entsprechende Politik. Das Schweizer Parlament spielt bei der Ausgestaltung der Zukunft eine entscheidende Rolle. Deshalb hat seine Zusammensetzung Gewicht. Und damit hat auch jeder Wahlzettel, der am 22. Oktober abgegeben wird, Gewicht. Es lohnt sich also, genau zu überlegen, wer Ihre Anliegen im Bundeshaus vertreten soll. Noch einmal sei auf das Umweltrating der Umweltallianz verwiesen. Dort wird das Abstimmungsverhalten der Parlamentsmitglieder konkret aufgezeigt.

Wer noch passende Kandidatinnen für den Wahlzettel sucht, konsultiert auch gerne die Online-Wahlhilfe Smartvote. Eine Anlayse der ETH zeigt jetzt aber auf, dass diese Hilfe nicht ohne Tücken ist. Bei der Beantwortung des Fragebogens nehmen es offenbar nicht alle Politikerinnen und Politiker so genau mit der Ehrlichkeit. Extreme Positionen werden tunlichst vermieden. Wegen der verwendeten Rechenmethode kann Smartvote leicht ausgetrickst werden, damit Kandidierende möglichst häufig zur Wahl vorgeschlagen werden. Strategische Antworten sind somit nützlicher als ehrliche.

Auffällig an diesem Wahlkampf sind nicht die flächendeckend strahlenden Gesicher der Kandidierenden, die von jeder Strassenlampe und jedem Gartenhag Autofahrer und Pasanten angrinsen. Auffällig ist, dass keine Partei Lösungen zu den aktuellen Krisen vorschlägt, ja die Krisen nicht einmal anspricht. Die Menschen machen sich Sorgen, sie wünschen sich mutiges Vorgehen, konkrete Schritte, damit sich auch ihre Kinder und Kindeskinder in einer gesunden Welt entfalten können. Doch davon ist weit und breit nichts zu hören und nichts zu sehen.

Gerne berschränkt man sich auf eine Politik der kleinen Schritte, aufs Machbare. Doch angesichts vor allem der klimatischen Entwicklung reicht das ganz einfach nicht mehr. Kein Politiker wird die massiven Subventionen, die ganz klar dem Klima schaden, frontal angreifen. Etwa die vier Milliarden Franken Kosten des privaten Verkehrs, den die Allgemeinheit trägt. Oder die 3,8 Milliarden direkten Subventionen für eine Landwirtschaft, die häufig gegen die Natur statt mit ihr arbeitet. Da sind auch die Stromverschwender, die aufgrund der fixen Anteile der Stromkosten von Mengenrabatten profitieren.

Für die anstehenden Wahlen bewerben sich mehr Kandidierende als je. Ist das bloss ein quantitativer Rekord, oder bedeutet das auch mehr Qualität? Werden neue Köpfe mutige Ideen mitbringen und die Reformresistenz in diesem Land durchbrechen? Im Wahlkampf ist davon nichts zu erahnen. Inhaltsleere Aussagen auf Plakaten und in den Medien dominieren das Bild. Auch die Parteispitzen geben sich resistent. Sind buhlen lieben um Likes statt um die Anliegen der Menschen, die sie im Bundeshaus vertreten. Sie köcheln lieber ihr eigenes Süppchen, anstatt gemeinsam Brücken zu innovativen Lösungen zu bauen.  

Am Radikalsten sind in dieser Beziehung die Grünen – leider nicht zu ihrem Vorteil. In einer NZZ am Sonntag-Serie hat Michael Hermann Stellung zu den "Parteien vor der Wahl" bezogen und geschrieben: "Im grünen Verständnis verlangt die Klimakrise nach einem radikalen Wandel unserer Lebensweise. Und genau das trägt nicht zu den Wahlaussichten der Grünen in der ernüchterten Stimmung von 2023 bei."

Es ist tatsächlich ernüchternd, dass sich Menschen wohl eine grünere, klimafreundlichere, verkehrsberuhigtere Welt wünschen. Aber deshalb auf den Flug in die Ferien, auf den SUV oder das mittägliche Steak verzichten? Das geht dann doch etwas zu weit. Am 22. Oktober wird sich der Nebel lichten und sich die Sicht auf Wunsch oder Wirklichkeit klären.

 

Umfrage Nachhaltige Stadt

Parteien und Politiker:innen im Umweltcheck