Der neue Wilde Westen

Bild von Elivs Muturi

 

Wenn jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, was sagt das über das Schweizer Volk aus? Nur eine Minderheit der Wahlberechtigten hat sich die Mühe gemacht, den Wahlzettel überhaupt einzuwerfen, und einer Partei zum Sieg verholfen, die es mit der Wahrheit nicht so genau und den menschengemachten Klimawandel gar nicht zur Kenntnis nimmt. Es ist zu befürchten, dass das neu zusammengesetzte Parlament weiterhin auf CO2-Verminderung primär im Ausland setzen wird, obwohl auf diesem Gebiet die Gesetze des Wilden Westens herrschen.

In den letzten Wochen sind vor allem die allseits beliebten CO2-Zertifikate aus Waldschutzprojekten in massive Kritik geraten. Laut einer Studie im Fachblatt «Science» haben diese sich als mehrheitlich wirkungslos entpuppt. Von den mit dem Programm REDD+ (Reducing Eissions from Deforestation and Forest Degradation), das den Erhalt tropischer Regenwälder fördern soll, angebotenen Kohlenstoffgutschriften fallen knapp 70 Prozent durch. Dabei sind die Zertifikate äusserst beliebt, weil günstig. Anstatt eigene Massnamen zu ergreifen, um den CO2-Ausstoss zu verringern, kaufen sich Unternehmen und Regierungen auf dem weitgehend unregulierten Zertifikatsmarkt frei. Das Angebot ist riesig, die Preise tief. Und niemand schaut so genau hin, wie wirkungsvoll der gekaufte Klimaschutz wirklich ist.  

So hat etwa die in Washington ansässige Zertifizierungsstelle Verra das grösste Klimaschutzprojekt des Schweizer Zertifikatshändlers South Pole unter die Lupe genommen. South Pole ist ein wichtiger Player in diesem Markt und zählt Nestlé, SAP, Holcim oder Gucci zu seinen Kunden. Ausgerechnet die Wirkung seines Vorzeigeprojekts, Waldschutz in Zimbabwe, soll massiv überbewertet sein, die Zertifikate mithin praktisch wertlos. Aber auch Verra selbst geriet in die Kritik: Falsche Berechnungen, kaum Kontrollen, Scheinprojekte – und letztlich Millionen von Tonnen CO2, die weiterhin das Klima belasten, anstatt eliminiert zu werden.

Und jetzt drängt ein weiteres Unternehmen auf den weitgehend unregulierten Markt. Blue Carbon, ansässig in den Vereinigten Arabischen Emiraten, hat ganz grosse Pläne. Firmeninhaber Scheich Ahmed Dalmook Al Maktoum beabsichtigt für die nächsten Jahrzehnte die Kontrolle über grosse Teile afrikanischerr Länder zu übernehmen, um in den Wäldern CO2-Gutschriften zu ernten. Es geht um 24 Millionen Hektaren Wald in Zimbabwe, Liberia, Sambia und Tansania. Der Run auf afrikanischer Wälder ist eröffnet. Nachdem ausländische Unternehmen den Kontinent schon wegen Erdöl, Diamanten oder Kobalt ausgebeutet haben, sind Kohlendioxid-Senken der nächste Schatz, der sich in Afrika heben lässt.

Das Klima wird kaum profitieren. Sollten aus den bestehenden Absichtserklärungen tatsächlich vertragliche Vereinbarungen entstehen, gäben die Länder die Kontrolle über grosse Teile ihrer Landfläche an Blue Carbon und andere Carbon-Cowboys ab. Dann bestimmen nämlich sie die Regeln. Blue Carbon will seine konkreten Pläne am nächsten Klimagipfel in Dubei darlegen. Dort sollen auch endlich gültige Regeln für den Zertifikats-Handel festgelegt werden. Denn die gibt es noch immer nicht. Weil gerade Waldschutzprojekte nur schwer auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden können, wehrt sich etwa die EU dagegen, sie für den staatlichen Emissionshandel zuzulassen. Ihr Argument: Länder können damit ihre nationalen Klimaziele erreichen, ohne wirklich etwas für das Klima zu tun. Und genau das ist die Absicht von Blue Carbon. Das Unternehmen wendet sich nicht an Firmen, die sich als "klimafreundlich" oder "klimaneutral" bewerben wollen, sondern vor allem an Regierungen, die ihre Klimazusagen erfüllen müssen.

Für Blue Carbon ist das ein lukratives Geschäft. So zeigt ein Vertragsentwurf, dass in Liberia, wo Blue Carbon die Kontrolle über ein Zehntel der gesamten Landfläche ausüben will, dass es 70 Prozent des Erlöses behalten wird. Gerade einmal 30 Prozent bleiben im Land. Wie viel davon an die Bevölkerung, insbesondere an jene Menschen, die in den betroffenen Gebieten leben, abgegeben wird, bleibt dahingestellt. Dabei geht es um viel Geld. Die Million Hektaren Land, welche die liberianische Regierung für 30 Jahre an Blue Carbon "verpachten" will, soll 50 Milliarden US-Dollar ins Land bringen.

Geld verdienen vor allem die Zwischenhändler. Letztes Jahr hatte eine Greenpeace Recherche ergeben, dass ein Grossteil der Projekte mit bis zu 300 Prozent Gewinnmarge an Unternehmen verkauft wurden. In einem Projekt im Amazonas kamen sogar nur 15 Prozent der Kompensation an, der Rest blieb beim französischen Zwischenhändler EcoAct.

Der Handel mit CO2-Zertifikaten war von Anfang an umstritten. Jetzt liegen ernüchternde Fakten auf dem Tisch, die zeigen, wie anfällig er für Tricksereien und Unfug ist. Das hat den Ständerat nicht davon abgehalten, entgegen dem Volkswillen zwei Drittel der CO2-Vermeidung ins Ausland verlagern zu wollen. In seiner neuen Zusammensetzung dürfte sich diese Haltung kaum verändern. Die Grünen lecken mittlerweile ihre Wunden.

Wurden sie, wie der berühmte Bote, der schlechte Nachrichten bringt, dafür abgestraft, dass sie praktisch als Einzige im Parlament immer wieder den Finger auf die wunden Punkte des Klimaschutzes legen und davor warnen, dass ungebremstes Wirtschaftswachstum auf Kosten der Natur in einer Katastrophe enden wird?