Die Klimakrise ist in der Krise

Photo: Markus Spiske  auf Unsplash
Photo: Markus Spiske auf Unsplash

Fast genau zwei Jahre ist es her, seit der erste Schulstreik fürs Klima am 20. August 2018 dem Klimaschutz neuen Schwung verlieh. Millionen Menschen weltweit schlossen sich der Bewegung an, im November 2019 rief das Europäische Parlament den Klima- und Umweltnotstand aus. Während in diesen zwei Jahren über 80 000 000 000 Tonnen CO2 still und unsichtbar in die Atmosphäre stiegen, wurde allenthalben diskutiert und proklamiert.

Der gegenwärtige Anstieg der CO2-Konzentration ist sechsmal grösser und fast zehnmal schneller als alle je zuvor gemessenen Phänomene. Das zeigt eine neue Messung anhand von Eisbohrkernen aus der Antarktis. Die äusserst detaillierte Messtechnologie wurde an der Universität Bern entwickelt. Damit ist das Argument von Klimaleugnern, sprunghafte CO2-Anstiege seien ganz und gar natürlich, ein für alle Mal vom Tisch. Auch die Naturkatastrophen, die weltweit für regelmässige Schlagzeilen sorgen, lassen sich nicht wegdiskutieren: Waldbrände, Hitzewellen, Überschwemmungen, Wirbelstürme, sterbende Gletscher, auftauender Permafrost. 

 

Voller Sorge haben sich die Fridays for Future Frauen Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Anuna de Wever van der Heyden und Adélaide Chalier in einem offenen Brief an Angela Merkel gewandt: «Frau Merkel», schreiben sie, «stellen Sie sich endlich der Klimakrise.» Den Aufruf stützen 125 000 Menschen, die die Forderungen an die EU sowie internationale Staats- und Regierungschefs unterschrieben haben. 

 

Die Klima- und Umweltkrise sei nie als Krise behandelt worden, wertvolle Zeit werde verschwendet, tadeln die Frauen. Unter anderem fordern sie, mit Investitionen und Subventionen für fossile Energien, müsse endlich Schluss sein. Und Ökozid gehöre bestraft. Zwei aktuelle Beispiele zeigen, wie unendlich weit auch die Schweiz von diesen Zielen entfernt ist:

Im April beschädigte ein Erdrutsch drei Ölpipelines am Ufer des ecuadorianischen Flusses Coca. Zweieinhalb Millionen Liter Erdöl vergifteten den Fluss und zerstörten die Lebensgrundlage von zahllosen Menschen. Gehört haben wir hierzulande davon praktisch nichts. Jetzt wirft ein Bericht der Organisationen «Amazon Watch» und «Stand Earth» ein Schlaglicht auf die internationalen Verflechtungen bei der Ölförderung  in Ecuador. Organisiert wird das Geschäft von Rohstoffunternehmen, die gerne von Genf aus operieren. Finanziert wird das Ganze grossteils von Schweizer Banken. Credit Suisse und UBS hängen mit Milliardenbeträgen im schmutzigen Geschäft mit drin. In ihren Stellungnahmen betonen sie, dass sie selbstverständlich sämtliche Sorgfaltspflichten einhielten.

 

Im zweiten Beispiel geht’s um die Unvernunft Schweizer Politiker. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats will den Benzinpreis um sieben Rappen senken. Das hat sie Mitte letzter Woche kundgetan. Statt die Mehrwertsteuer auf den vollen Spritpreis zu schlagen, soll sie neu nur noch auf den reinen Treibstoffkosten und nicht auch auf den Abgaben und Zuschlägen erhoben werden. Diese glorreiche Idee hat sich eine Allianz aus SVP, FDP- und CVP-Parlamentarierinnen ausgedacht. Den ultimativen Segen dazu gab WAK-Präsident Christian Lüscher (FDP) mit seinem Stichentscheid, der das 12:12 Abstimmungspatt beendete.

 

Kein Wunder kommen die Schweizer Klimastreikenden in ihrer Reaktion auf diesen neusten Geniestreich zum Schluss: «Die Entscheidung der Wirtschaftskommission zeigt erneut, dass die Politik nicht fähig oder nicht willig ist, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren.»

 

Man könnte zu einem weiteren Schluss kommen: Gewisse Politiker und Politikerinnen sind nicht einmal fähig zu denken.    

 

Christa Dettwiler