Kriminelle Klimajugend

Photo: Climatestrike Switzerland
Photo: Climatestrike Switzerland

«Gewissermassen hat die Politik nicht die Klimakrise, sondern die Klimabewegung als Problem behandelt, das es zu lösen gilt.» So fasst der Wetziker Aktivist Jonas Kampus zusammen, was letzte Woche tout Bern in Aufruhr versetzt hat. Der unbeteiligten Zuschauerin bleibt nur, sich verwundert die Augen zu reiben.

Es ist verboten, auf dem Bundesplatz während der Session zu demonstrieren. Gemüse verkaufen dagegen ist erlaubt. Noch verbotener ist es, auf dem Platz zu campieren. Deshalb geben die Räte am Montagabend die Order aus: «Der Platz muss schnellstens geräumt werden.» Am Dienstag hechelt eine Tageszeitung: «Angriff auf das Zentrum der Macht.» Am Mittwoch ist der Bundesplatz geräumt. Ohne Geschrei, ohne Gewalt. Nur ein paar Politiker verlieren die Contenance. Am Donnerstag fordert ein bürgerlicher Parlamentarier per Vorstoss vom Bundesrat, der Geheimdienst solle schleunigst die ausländischen Drahtzieher hinter der Klima-Aktion dingfest machen.

 

Die Klimajugend hat ganz offensichtlich einen empfindlichen Nerv getroffen. 

 

Man könnte die Aktion als Sturm im Wasserglas abtun, wären da nicht ein paar Faktoren, die den völlig überzogenen Reaktionen einzelner Politikerinnen und Politiker einen etwas anderen Anstrich gäben. Im «Zentrum der Macht» wurde kurz vor dem «Angriff» das CO2-Gesetz beraten. Dabei wurde ebenso offensichtlich, dass die Mehrheit des Parlaments keinen grundlegenden Wandel will, die Schweiz beim Klimaschutz nicht so entschlossen vorangeht, wie es einem so reichen Land gut anstünde. 

 

Sowohl die Beratung der Transparenz-Initiative wie auch die Opposition gegen die Konzernverantwortungs-Initiative zeigen, dass das Parlament weit davon entfernt ist, mutige und notwendige Reformen einzuführen. Stört es bürgerliche Politiker und Politikerinnen, dass das Schweizer Unternehmen Glencore im australischen Bowen Basin eine neue Kohlemine baut, aus der über die nächsten 35 Jahre Jahr für Jahr bis zu 20 Mio. Tonnen Kohle gefördert werden sollen? Beunruhigt es sie, dass der jährliche CO2-Ausstoss dieser Kohle den der ganzen Schweiz noch übertrifft? Regen sie sich darüber auf, dass der Schweizer Finanzplatz die Klimakrise ungebremst anheizt? 

 

Aber dafür den Kollaps des Rechtsstaates beschwören, wenn ein paar jungen Menschen auf dem Berner Bundesplatz ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft einfordern …

 

Verlieren sie ein Wort darüber, dass Feuer an der amerikanischen Westküste oder in Brasilien Gebiete zerstören, die grösser sind als die ganze Schweiz? Dass über Millionen von Jahren aufgebautes Eis in der Antarktis unwiederbringlich verschwindet? Sicher nicht. Sie schlagen sich auf die breite Brust und verweisen auf das tolle CO2-Gesetz, diesen Minimalkonsens, der nur gegen viel bürgerlichen Widerstand zustande gekommen ist.

 

Und zu guter Letzt sind die 12 Klima-Jugendlichen, die 2018 in einer Filiale der Credit Suisse Tennis gespielt hatten, in zweiter Instanz doch noch verurteilt worden. Vor dem Bezirksgericht Lausanne waren sie in erster Instanz noch freigesprochen worden. Der Gerichtspräsident hatte den Aktivistinnen attestiert, sie hätten aus einem «gerechtfertigten Notstand» heraus gehandelt. Ihr Verhalten sei angesichts der Klimakatastrophe «notwendig und angemessen» gewesen.

 

Ein derart aufgeklärtes Urteil, das auch international Schlagzeilen erzeugte, durfte selbstverständlich nicht unwidersprochen bleiben. Die Waadtländer Staatsanwaltschaft zog den Freispruch weiter. Sie mochte keinen klimabedingten Notstand ausmachen. 

 

Jonas Kampus hat wohl recht. Die Klimakatastrophe ist für einige das geringere Problem als die Jugendlichen, die sie zu bremsen versuchen. Nicht die Hauptverursacher werden kriminalisiert, sondern jene, die den Kollaps aufzuhalten versuchen.

 

Christa Dettwiler, die Augen reibend