Heisser Lauf

Bild: Henrique Sa auf Unsplash
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Nun haben sie’s doch getan: Das EU-Parlament hat mit 328 zu 278 Stimmen beschlossen, Investitionen in Atom- und Gasstrom als nachhaltig zu taxieren. Was bleibt, ist (wieder einmal) das fassungslose Kopfschütteln. Dabei sind genau diese zwei Energieträger mitverantwortlich für die aktuelle europäische Energiemisere. Russland dreht den Gashahn zu und in Frankreich fallen AKW ungeplant aus. Der Entscheid in Brüssel macht den Bock zum Gärtner oder die Ursache der Energiekrise zur Lösung.

Mehr noch: Deutschland hat im ersten Halbjahr 2022 riesige Mengen Strom nach Frankreich exportiert. Der Bundesverband Erneuerbare Energie stellt fest: «Technisch bedingte Ausfälle und zuletzt auch die warmen Temperaturen haben der vermeintlich zuverlässigen Atomkraft stark zugesetzt». Das sagt BEE-Präsidentin Simone Peter, und weiter: «Jetzt müssen Erneuerbare-Energien-Anlagen aus Deutschland den angeschlagenen Atomkraftwerken verstärkt unter die Arme greifen und Strom nach Frankreich liefern.» 

 

Vielleicht macht ja das den französischen Atomstrom nachhaltig?

 

Die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer sprach von einem «harten Tag» und davon, dass die EU-Klimapolitik nachhaltig geschwächt sei. Teile des EU-Parlaments hätten entschieden, «dass sie uns alle lieber ins Nirwana greewashen wollen».

 

In diesem Zusammenhang von Nirwana zu reden, ist ziemlich gewagt. Bedeutet dieser buddhistische Schlüsselbegriff doch, das Aussteigen aus dem Kreislauf des Leidens, das ein Dasein in menschlicher Form halt einfach mit sich bringt. Vielleicht hätte Neubauer besser von der Vorhölle gesprochen, in die wir uns ungebremst mit unserer Gier nach Energie katapultieren. 

 

Etwa die Hälfte der französischen AKW sind zurzeit abgeschaltet. Es sind nicht nur technische Probleme, die den Reaktoren zu schaffen machen, es sind vor allem auch die hohen Temperaturen – dabei kommt die grosse Hitze erst noch.

 

Auch die Hinterste und der Letzte dürften sich so nach und nach fragen, was zum Teufel eigentlich mit diesem Wetter los ist. Nach einem heissen und trockenen Frühling sind die Böden ausgedörrt. Norditalien hat bereits den Dürre-Notstand ausgerufen und bat sogar die Schweiz darum, Wasser aus den Stauseen abzulassen, um die Poebene vor dem Verdursten zu bewahren. Doch da ist nix zu holen. Die Stauseen sind zu weniger als einem Drittel gefüllt, der Lago Maggiore wies im Juni einen Füllungsgrad von 22 Prozent auf. Nur die Hälfte der benötigten Wassermenge fliesst zurzeit nach Italien. 

 

Der Deutsche Wetterdienst stellt in einer Klimastudie fest, dass es ist fast allen Regionen Europas viel zu trocken ist. Und die Sommermonate versprechen keine Erleichterung. Eine Studie im Fachblatt Nature Geoscience präsentiert Fakten unter dem Titel «Klimaveränderung: beispiellose Dürren in Europa in den letzten zwei Jahrzehnten». Sie zeigt auf, dass die Dürren, die Europa seit 2015 erlebt hat, weitaus gravierender und häufiger sind als seit über 2 000 Jahren.

 

Anstatt angesichts solcher Fakten und Perspektiven alles Geld und alle Anstrengungen in den Ausbau erneuerbarer Energien zu werfen, verteidigen Politik und Wirtschaft mit Klauen und Zähnen veraltete, schädliche und lebensbedrohliche Energieträger und -produktionsmethoden. Und übrigens: Ab Mittwoch rollt die nächste Hitzewelle auf uns zu.

Christa Dettwiler